
Komplementäre Therapien
Da bei den Therapien der Immunsuppression und der Immunmodulation das Nebenwirkungsrisiko sehr hoch ist und auch Widersprüchlichkeiten bestehen, fragen immer mehr Betroffene nach Therapiekonzepten, die nebenwirkungsfrei oder zumindest nebenwirkungsarm sind und die einen Therapieerfolg versprechen.
Alternative oder komplementäre Verfahren zur (begleitenden) Behandlung von Multiple Sklerose sind zumeist wissenschaftlich nicht immer ausreichend untersucht worden, um aus schulmedizinischer Sicht verlässliche Aussagen über deren Wirksamkeit treffen zu können.
Trotzdem empfehlen sie sich durch ihre oft verblüffende praktische Kraft in der individuellen Anwendung – in enger Abstimmung mit den behandelnden Ärzten und Therapeuten – für die Erprobung beim je eigenen Krankheitsverlauf.
Zudem sollte immer auch der eigene Erfahrungshorizont beachtet werden: Betroffene haben oft jahrelange Erfahrung mit ihrer Erkrankung, spüren genau, wie die MS auf seelische Belastungen, körperliche Anstrengungen, das Wetter, Medikamente, bestimmte krankengymnastische Übungen, Hitze usw. reagiert, und kennen sich deshalb in vielerlei Hinsicht besser aus mit ihrer MS als ein noch so guter Arzt.
Im Folgenden werden einige Verfahren (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) vorgestellt, die den Verlauf von Multiple Sklerose positiv beeinflussen können.
Ernährungstherapien
Komplexe Ernährungs- und Stoffwechsel-Therapie nach Fratzer/Hebener
Studien haben nachgewiesen, dass eine Insuffizienz der Blut-Hirn-Schranke der Schädigung myelinisierter Nervenfasern im Zentralnervensystem vorausgeht. Bei der komplexen Ernährungstherapie handelt es sich um eine entzündungshemmende Therapie, durch die der Zusammenbruch der Blut-Hirn-Schranke verhindert werden soll. Zu diesem Zweck halten die Betroffenen eine linolsäurearme, an ungesättigten Omega-3-Fettsäuren reiche Diät ein.
Medizinischer Hintergrund ist, dass MS-Patienten in Blut und Hirnwasser erniedrigte Konzentrationen ungesättigter Fettsäuren aufweisen, die aus einem erhöhten Verbrauch dieser Fettsäuren während der Schübe erklärt werden könnten. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um einen Selbstschutzmechanismus zur Limitierung des Entzündungsvorganges.
Im MSK-Magazin Blickpunkt wird in jeder Ausgabe eine linolsäurearme Mahlzeit vorgestellt.
Evers-Diät
Bei dieser nach dem deutschen Arzt Joseph Evers benannten MS-Diät werden v.a. rohe, naturbelassene, pflanzliche Lebensmittel verzehrt, z.B. gekeimte Körner, Früchte, einheimisches Gemüse, Eier, Bienenhonig, Milchprodukte und Milch, geringe Mengen frischer Fisch, Fleisch und Rohschinken. Denaturierte Nahrung wird gemieden.
Vitamin D
Es ist erwiesen, dass Sonnenlicht und UV-Strahlung mit dem Risiko korrelieren, an MS zu erkranken. Je geringer die Sonneneinstrahlung, desto höher das Risiko. Der Vitamin D-Gehalt im Blut ist ein direktes Ergebnis der Sonnen-/UV- Einstrahlung auf die Haut, der wichtigsten Quelle für dieses Vitamin. Dr. med Olaf Hebener hat in einem Aufsatz in der MSK-Zeitschrift Blickpunkt im Jahr 2011 Laborversuche rekapituliert, in denen nachgewiesen wurde, dass Immunzellen unter dem Einfluss von aktivem Vitamin D eine erhebliche antibiotische Wirkung gegen krankheitsvermittelnde Keime entwickeln. Vitamin D unterdrückt überschießende Entzündungsreaktionen durch Verringerung der aktivierenden Botenstoffe. Ein Vitamin-D-Mangel kann die Entstehung von autorimmunen Entzündungen fördern. Eine andere Studie zeigte einen Zusammenhang hinsichtlich MS und dem Vitamin D auf: Je höher der Vitamin-D-Spiegel im Blut, desto geringer der Behinderungsgrad und der Verlust an Hirngewebe. Die Messung des Vitamin-D-Spiegels im Blut ist sinnvoll. Die Werte sind abhängig von der Jahreszeit, in Mitteleuropa am niedrigsten zwischen Januar und April. Dr. Hebener empfiehlt deshalb bei nachgewiesenem niedrigem Vitamin-D-Spiegel die Einnahme von 1000 IE/Tag.
Cannabis
Mehrere Studien haben eine signifikante antispastische Wirksamkeit von Cannabis gezeigt. Seit Juli 2011 ist ein Cannabinoid-Präparat für Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Spastik zugelassen, denen andere Medikamente nicht oder wenig geholfen haben.
Homöopathie und verwandte Verfahren
Heilpraktiker und homöopathisch orientierte Neurologen empfehlen zur Behandlung vieler Nebenwirkungen der MS folgende homöopathische und alternative Heilmittel:
- Konzentrations- und Gedächtnisstörungen lassen sich mit Ginko-Extrakten lindern.
- Gegen Schwindel hilft häufig Cocculus D12 oder bei niedrigem Blutdruck Korodin®.
- Schlafstörungen werden oft erfolgreich mit Baldrian bekämpft, depressive Verstimmungen mit Johanniskraut.
- Bei Harndrang wird von Naturheilkundlern Goldrutenkraut, bei Blasenschwäche oder Harnverhaltung Kürbiskern-Produkte empfohlen.
- Sexuelle Probleme: Bei der Spastik hilft in leichten Fällen Magnesium. Cefaplenat®-Tropfen sind ein homöopathisches Heilmittel, dessen gute Wirksamkeit bekannt ist; Nebenwirkungen sind selten.
Physio- und ergotherapeutische Verfahren
Multiple Sklerose tritt mit unterschiedlichen Symptomen auf, die zu einer Verminderung der Lebensqualität führen. Die jeweiligen Funktionsstörungen und ihr Ausmaß sind bei Betroffenen ganz unterschiedlich ausgeprägt. Doch häufig sind Gehbehinderung, Spastik, Schmerzen, Ataxien, psychische und physische Ermüdbarkeit (Fatigue-Syndrom) sowie depressive Störungen die Folge. Zur Behandlung dieser Symptome eignen sich – auch in Kombination – physiotherapeutische und ergotherapeutische sowie sanfte Naturheilverfahren.
Physiotherapie
Individuell angepasste körperliche Aktivität kann MS-Betroffenen viel nützen: Die Beweglichkeit bleibt länger erhalten; die allgemeine Müdigkeit (Fatigue) bessert sich bei gezielter Bewegung, wie sie in der Physiotherapie erlernt wird; das Training kann Fehlbelastungen und falsche Bewegungen, die durch Schmerzen, Spastiken oder Muskelblockierungen entstehen, beseitigen und Gangstörungen beheben. Bei einer Ataxie fällt es MS-Patienten schwer, das Gleichgewicht zu halten. Auch hier kann der Physiotherapeut helfen: Zum sicheren Stehen bekommt der Betroffene anfangs Hilfestellung; diese Unterstützung wird dann immer weiter verringert, bis der Patient wieder allein das Gleichgewicht halten kann.
Ergotherapie
Ergotherapeuten versuchen, falsche Bewegungen und kräftezehrende Körperhaltungen bei MS-Betroffenen zu beseitigen. Sie üben mit ihnen wieder normale Bewegungen ein, die weniger Energie kosten. Ist das nicht mehr möglich, lernt der Patient mit seinem Handicap umzugehen und trainiert neue "Ersatzbewegungen". Alle Übungen orientieren sich an den Bedürfnissen im Alltag.
Feldenkrais
Ziel der Feldenkrais-Methode ist es nicht, Probleme zu korrigieren, sondern das Bewusstsein zu schulen, eine klarere Empfindung von sich selbst zu entwickeln. Dadurch kann eine leichtere und freudvollere Art entstehen, sich zu bewegen. Die Feldenkrais-Methode ist keine Therapie, sondern eine Methode organischen Lernens.
Moshe Feldenkrais, Begründer der Methode zu Beginn des 20. Jahrhunderts, entwickelte zwei Formen:
- Unterricht in der Gruppe: unter Anleitung eines Feldenkrais-Lehrers werden sanfte, leichte anstrengungsfreie Bewegungen gemacht, die es dem Schüler ermöglichen, auf spielerische Art neue Handlungsmöglichkeiten zu entdecken. Diese neuen Bewegungsmuster werden im Gehirn und Nervensystem gespeichert und können bei Bedarf „abgerufen" werden.
- Einzelstunde (funktionale Integration): Der Feldenkrais-Lehrer deutet mit Hilfe seiner Hände nonverbal dem Patienten sein Bewegungsmuster an und zeigt ihm Alternativen gemäß seinen individuellen Voraussetzungen auf.
Cranio-Sacral-Therapie
Cranio-Sacral-Therapie ist eine sanfte, nicht invasive Therapie. Die Behandlung des cranio-sacralen Systems (CSS) berücksichtigt die knöchernen und membranösen Strukturen des Schädels (Cranium), der Wirbelsäule und des Kreuzbeins (Sacrum) sowie die Dynamik der cerebrospinalen Flüssigkeit (CSF) und des Zentralnervensystems.
Durch subtile Berührung und Mobilisationsbewegungen der cranio-sacralen Strukturen können Blockierungen im CSS und am ganzen Körper erkannt und gelöst werden. Dadurch wird es den von Blockaden befreiten Gebieten des Körpers möglich, sich der in der CSF innewohnenden Heilkraft und Ordnung neu zu öffnen. Dieser Vorgang ist oftmals ein psycho-emotionaler Prozess, in welchem alte und tief verkörperte Verhaltensmuster und Traumata gelöst werden können, was zu einem tiefen Selbstheilungsprozess führen kann.
Mind-Body-Therapien
Untersuchungen haben gezeigt, dass psychologischer Stress einen direkten Einfluss auf das Immunsystem haben kann und es damit anfällig für Erkrankungen macht. Mind-/Body-Therapien wie Yoga, Hypnose, Meditation, Bioresonanz, Tai Chi, Visualisierung und Qi Gong wurden mit Veränderungen im Gehirn und der Immunfunktion bei Erkrankungen wie etwa MS in Verbindung gebracht. Stressreduzierende Praktiken wie Yoga können sich bei Erkrankungen mit einer Fehlfunktion der Immunabwehr positiv auswirken.