Skip to main content

Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Selbsthypnose bei MS: Ein ganz neuer Ansatz

Birgit Bernhard, Blickpunkt-Ausgabe 02/2023

Ich bin gerade 51 Jahre alt geworden, leide seit 30 Jahren an Multipler Sklerose und einigen anderen Krankheiten. Ich habe sehr schwere Zeiten hinter mir. Und dennoch: Heute fühle ich mich jünger denn je, alles in mir ist in Aufbruchstimmung, ich habe das Gefühl, etwas ganz Neues beginnt in meinem Leben. Und das sieht man mir offensichtlich auch an, wie mir immer wieder gesagt wird. Ob ich denn auf Reha gewesen sei, möchte man wissen. Ja und nein, antworte ich darauf. Nicht so, wie man es landläufig versteht. Ich war auf einer Reha, die mich nicht körperlich an einen anderen Ort zur Erholung brachte, sondern ich befinde mich seit zwei Jahren auf einer Reise zu mir selbst und meinen inneren Ressourcen – mithilfe von Hypnotherapie.

Wie kam es dazu?

Ich habe mich in den letzten 30 Jahren mit vielen ganzheitlichen Methoden beschäftigt, wie Achtsamkeitsmeditation oder andere Entspannungsverfahren. Immer wieder kam ich auch mal mit dem Begriff der Hypnotherapie in Berührung, u. a. in zwei sehr interessanten Artikeln im Blickpunkt (BP 2/2020 und 3/2020), aber es ergab sich nie, dass ich die Hypnotherapie ausprobieren konnte.
Vor zwei Jahren war ich wegen der MS in einer Klinik, und eine Psychotherapeutin dort machte mit mir auf meinen Wunsch eine Hypnose. Zuerst dachte ich, dass es im Grunde dasselbe wie die Entspannungsverfahren sei, die ich schon kenne. Dann merkte ich aber, dass es viel tiefer geht, eine Langzeitwirkung hat. Die Therapeutin in der Klinik empfahl mit Frau Dr. Agnes Kaiser Rekkas, die eine der führenden Hypnotherapeut*innen in Deutschland ist und dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie e. V. (DGH) angehört. Seit Jahrzehnten ist sie sowohl als Therapeutin als auch in der Ausbildung von Hypnotherapeut*innen tätig.
Ich merkte sehr schnell, wie sich in mir etwas veränderte, wie gut mir die Hypnosen taten, die ich als Audio-Datei mitbekam, damit ich sie zu Hause immer wieder hören konnte. Außerdem griff ich von Anfang an auch auf mehrere Hypnosen zurück, die Frau Kaiser Rekkas bereits veröffentlicht hatte.

Was hat sich bei mir durch die Hypnose verändert?

Ich bin mit positiven Gedanken, Gefühlen und Bildern angefüllt. Mein innerer Dialog ist positiver, ich bin zuversichtlicher. Ich habe mehr Selbstvertrauen. Ich merke, dass ich selbst etwas tun kann und fühle mich der MS nicht so ausgeliefert. Seit langer Zeit habe ich das Gefühl, dass etwas sogar besser werden darf und kann.
Ich habe angefangen, mein Gehen wieder zu trainieren. Das war viele Jahre lang nicht vorstellbar, aber ich sehe auf einmal wieder die Möglichkeit dazu. Ich hatte immer das Gefühl, dass an meinen Beinen schwere Eisenkugeln hängen, die mich nicht vorwärtskommen lassen. Mithilfe der „Hermes-Hypnose“ konnte ich das auflösen: Die Ketten sind gesprengt, und ich habe nun kleine Flügelchen an den Beinen. Ich sehe mich in „neuem Licht“, ich denke anders, ich bewege mich besser.

Immer klarer wird mir auch, wie wichtig unsere innere Grundhaltung ist. Wie wichtig es ist, den Mut und das Selbstvertrauen nicht zu verlieren. Wie schwierig ist es, sich selbst noch als wertvollen Menschen zu begreifen, wenn im Körper so vieles nicht mehr gut funktioniert. Dank der Hypnose komme ich in guten Kontakt mit meinem Körper und stehe mir selbst viel wohlwollender gegenüber. Ich freue mich an kleinen Dingen. Wie erfüllt bin ich, wenn ich die im Frühling sprießenden Blumen betrachte! Ich möchte alles in mich einsaugen, aufnehmen, ich blühe auch von innen.
Ich fühle mich wie neu aufgeladen, neu gestartet, so als hätte ich eine Blumenwiese in mir, und das beflügelt mich.

Wie funktioniert Hypnose?

Hypnose weckt das schlummernde Unterbewusstsein mit all seiner Fülle. Wir haben im Grunde die Lösung für viele Probleme schon in uns. Manches können nur wir selbst lösen. Hier kann die Hypnose sehr hilfreich sein. Dadurch, dass sie das bewusste Denken etwas „ausschaltet“ und das Unterbewusstsein anregt, richtig hinzuspüren. Einmal wieder das Gute zu erfahren, das in uns ist. Ich war nicht darauf vorbereitet, wie schön Hypnose sein kann – vielleicht wie wenn man als Kind eine Geschichte erzählt bekommt und dabei mit einem wohligen Gefühl einschläft. Hypnose eröffnet ganz eigene Welten, tief in mir drinnen. Gute Erinnerungen werden wieder hochgeholt, z. B. von gesunder Bewegung und schönen Erlebnissen. Es können aber auch vollkommen neue gute Gefühle angeregt werden.

Auch bei der Vorstellung von positiven Dingen werden im Gehirn fast dieselben Vorgänge ausgelöst, wie wenn wir etwas wirklich erleben. Oder es werden z. B. auch Substanzen ausgeschüttet, die beruhigen oder die den Schlaf einleiten.

Ich bin überzeugt davon, dass Hypnose vielen MS-Erkrankten helfen kann, ihr Leben zu verbessern. Eine tiefe Entspannung kann dazu führen, dass sich eine Spastik etwas verbessert, um nur ein Beispiel zu nennen. Wenn ich in der Hypnose in eine angenehme Stimmung versetzt werde, geht es mir natürlich besser, als wenn ich den ganzen Tag auf mich selbst fokussiert bin und mich ganz auf meine Schmerzen konzentriere.
Immer wieder fallen mir im Alltag Dinge ein, die ich in den Hypnosen gelernt habe. Auf einmal ein positiver Gedanke, die Idee, etwas zu tun. Ich spüre die Sonne im Gesicht, und es breitet sich sofort Ferienstimmung in mir aus.

Hypnose stellt den Zusammenhang von Körper, Geist und Seele her. Alles ist eins, und alles greift ineinander. Jedes negative Erleben, jede Belastung verändert unseren Körper und unsere Seele. Andererseits werden Seele und Körper gestärkt, wenn wir etwas Positives erleben. Hypnose kann man deshalb auch gut als das „Auftanken von guter Energie“ beschreiben. Je mehr Gutes ich in mir habe, desto stressresistenter kann ich werden. Je mehr Freude ich im Leben habe, desto mehr treten Schmerz und Depression in den Hintergrund.

Therapie in Eigenregie: Das Selbsthypnoseprojekt für MS-Betroffene

Bereits nach kurzer Zeit fragte ich deshalb Agnes Kaiser Rekkas, ob sie sich vorstellen könnte, ein spezielles Hypnoseprogramm für MS-Patient*innen zu entwickeln, das wir gemeinsam zusammenstellen. Zu meiner großen Freude war sie sofort Feuer und Flamme, und wir machten uns an die Umsetzung. Unser großes Anliegen war es von Anfang an, anderen MS-Betroffenen diese Methode auch einfach zu Hause, ohne großen Aufwand zu ermöglichen. Frau Kaiser Rekkas begeisterte dafür auch weitere Therapeut*innen.
Und so sind auf dem nun im Carl-Auer Verlag erschienenen Hörbuch insgesamt 21 Hypnoseanleitungen von fünf Therapeut*innen zu hören. Den Anfang machen Hypnosen, um sich erst einmal auf diese Therapie einlassen zu können. Es folgen Trancen zur Entspannung und Erholung, zur Stärkung des Selbstwertgefühls, zur liebevollen Hinwendung zum Körper, zum seelischen Schutz und inneren Gleichgewicht. Einen wichtigen Anteil haben auch Hypnosen, in denen gesunde Bewegung erinnert bzw. sich neu vorgestellt wird, um neue Verbindungen bahnen zu können. Es gibt Untersuchungen darüber, dass im Gehirn praktisch dasselbe wie bei einer tatsächlichen Bewegung abläuft, wenn ich mir diese nur vorstelle. Was für eine Chance liegt darin!
Die Erkenntnisse der Neurowissenschaft zeigen zudem, dass man sich mit einer neurologischen Erkrankung tatsächlich viel bewegen sollte, damit die Verbindung vom Gehirn zu den Gliedmaßen immer wieder neu gebahnt werden kann. Wenn ich mich kaum bewegen kann, gelingt dies durchaus auch durch die Vorstellung.

Weiter gibt es Hypnosen zur Beruhigung des Immunsystems, für guten Schlaf, für die Harnblase, zur hypnotischen Abkühlung beim Uhthoff-Phänomen sowie für Ängste, depressive Verstimmungen und Hypnosen zur Stärkung von Zuversicht und Mut.

Ich freue mich sehr, dass ich in das Projekt miteinbezogen war. Ich konnte alles einbringen, was ich als Selbstbetroffene für wichtig halte. Alle Therapeut*innen hatten immer ein offenes Ohr für meine Anregungen und Wünsche. Es sind Hypnosen dabei, die Frau Kaiser Rekkas für mich in der Therapie entwickelt hat, wie z. B. die bereits erwähnte „Hermes-Hypnose“ oder „Im neuen Licht“, bei der es darum geht, sich selbst, trotz aller Einschränkung, aller Schmerzen und Nöte, einmal wieder von einer positiven Seite wahrzunehmen
Vor einigen Wochen haben wir das Projekt abgeschlossen. Mir wurde bewusst, dass so eine Therapie, wie ich sie gemacht habe, wahrscheinlich noch kein anderer Mensch erleben durfte. Ich habe unzählige Hypnosen gehört, gegengelesen, abgetippt, etwas verändert und wieder und wieder gehört. Es war eine äußerst intensive Zeit für mich. Und nun habe ich einige Wochen „Hypnose-Pause“ gemacht, und es wirkt alles weiterhin in mir und beschert mir immer wieder magische Erkenntnisse und Momente.

Agnes Kaiser Rekkas zum Projekt:

„Hypnose kann, wie ich als Therapeutin erfahren durfte, als ergänzender therapeutischer Baustein die Lebensqualität eines an Multipler Sklerose erkrankten Menschen in vielerlei Hinsicht im Positiven beeinflussen. Dabei werden die Vorstellungskräfte genutzt und Körpererinnerungen wachgerufen, die der Aufrechterhaltung und Bahnung von Bewegung dienen. Die mentale Selbststimulierung wird trainiert und aus unbewussten Ressourcen geschöpft. Die bedachte und durchweg positive Wortwahl der Trancesprache lässt angenehme Bilder und Vorstellungen mit wohltuenden Gefühlen aufkommen, was Beschwerden lindert und was stärkt, ermutigt und heilsam wirkt. Ohne Birgit Bernhard aber wären all diese Beobachtungen einfach friedlich in meinem Archiv von Therapieaufzeichnungen verblieben. Doch es kam anders … und zwar an einem sonnigen Frühlingstag im Jahr 2021. Da marschierte Birgit Bernhard frohgemut mit ihren zwei Stöcken, einem erwartungsvollen Lächeln und voller Glauben in meine Praxis. Glauben an was? An die Wirkkraft der Hypnose!“

Noch ein wichtiger Hinweis

Wer unabhängig von diesem Selbsthypnose-Projekt Hypnose in einer Therapiesitzung ausprobieren möchte, sollte sich nur an Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen wenden, die Hypnose seriös praktizieren. Diese sind zu finden über die Webseite www.hypnose.de.

Hörbuch

hoerbuch selbsthypnoseDas Hörbuch „Selbsthypnose bei Multipler Sklerose“ mit 21 Tranceanleitungen ist im Carl-Auer Verlag erschienen und kann auf der Seite www.carl-auer-verlag.de erworben werden.