Skip to main content

Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Cannabidiol im Visier - Verbraucherschutz oder -verunsicherung?

Red., Blickpunkt-Ausgabe 03/2019

Seit etwa einem Jahr wird Cannabidiol (CBD) in deutschen Medien verstärkt kontrovers diskutiert. Dubios erscheinende, bisher frei verkäufliche CBD-Produkte aus dem Nahrungsergänzungsbereich stehen hier besonders im Fokus und werden entweder als unwirksam oder aufgrund ihrer möglicherweise starken, bisher unzureichend erforschten Wirkweisen als sehr gefährlich eingestuft. Auch Empfehlungen für eine Verortung von CBD ganz in den Arzneimittelbereich waren dabei unlängst zu lesen. Dabei kommt es häufig zu einer Vermischung von doch sehr unterschiedlichen Sachverhalten – medizinisches Cannabis auf der einen Seite und CBD-haltige Produkte überwiegend zur Nahrungsergänzung auf der anderen Seite – was zu einer unnötigen Verunsicherung von Betroffenen beitragen und den tatsächlichen Nutzen von Cannabis und seinen Wirkstoffen in den Hintergrund rücken könnte.

Um welche Wirkstoffe geht es?

Im menschlichen Nervensystem befinden sich Cannabinoid-Rezeptoren, an denen, neben körpereigenen Stoffen, auch Wirkstoffe aus der Cannabispflanze andocken können. Dazu gehören die Cannabidiole (CBD) – die, neben den Tetrahydrocannabinolen (THC) zu den bekanntesten der über 100 nachgewiesenen Cannabinoiden gehören, die von der Hanfpflanze gebildet werden.
Während THCs (besonders das Δ9-Tetrahydrocannabinol) als sehr psychoaktiv und berauschend gelten, machen Cannabidiole nicht „high“, sondern wirken, je nach Dosierung, entzündungshemmend, neuroprotektiv, entkrampfend oder beruhigend. Um CBDs zu gewinnen, werden sie mittels unterschiedlicher Verfahren aus der Cannabispflanze herausgelöst; dabei verbleibt ein THC-Anteil im CBD-Extrakt.

Rechtliche Einordnung von CBD

Die rechtliche Einordnung von CBD und CBD-haltigen Produkten in Deutschland orientiert sich an der Art der Nutzung. Die Produktzusammensetzung, ihre pharmakologische Wirkweise (somit also auch die Dosierung) sowie die Art und Weise, wie der Grundstoff aus der Pflanze gewonnen wurde, entscheiden darüber, ob das Betäubungsmittelgesetz (BtMG), das Arzneimittelgesetz (AMT) oder lebensmittelrechtliche Bestimmungen zur Anwendung kommen.
Zunächst einmal unterliegen Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen dem BtMG, es sei denn, sie wurden in Ländern der Europäischen Union mit zertifiziertem Saatgut angebaut und ihr Gehalt an THC übersteigt 0,2 Prozent nicht. Auch ein Missbrauch zu Rauschzwecken muss bei der erlaubten gewerblichen oder wissenschaftlichen Nutzung ausgeschlossen sein, das Produkt also dazu entsprechend weiterverarbeitet worden sein.

CBD als Bestandteil eines Arzneimittels

Medizinisch zu verwendendes Cannabis wurde erstmals in Deutschland im Jahr 2017 verschreibungsfähig; es wird zum Beispiel zur Behandlung von schweren Spastiken bei MS, neuropathischen Schmerzen oder HIV/Aids-indizierter Anorexie angewendet. Der Einsatz bei weiteren Krankheitsbildern wie Epilepsien oder Angststörungen wird derzeit gesondert erforscht.
CBD-haltige Arzneimittel sind verschreibungspflichtig, wenn sie auch eine höhere Dosis THC enthalten (wie zum Beispiel beim Mundspray Nabiximols, bekannt als Sativex®). Auch CBD-haltige medizinische Cannabisblüten oder Cannabisextrakte (wie die Ölige Cannabidiol-Lösung) fallen unter das Arzneimittelgesetz und sind in der Apotheke auf Rezept erhältlich.

CBD in Nahrungs- oder Nahrungsergänzungsmitteln

CBD-Produkte werden – als Nahrungsergänzungsmittel deklariert – auch im Handel angeboten. Dazu gehören unter anderem Kapseln, Öle, Tees, Liquids oder Kristalle, die einen THC-Gehalt von 0,2 Prozent nicht überschreiten dürfen und von denen eine pharmakologische Wirkung nicht zu erwarten sein sollte (die physiologischen Funktionen des menschlichen Körpers also nicht erheblich beeinflussen sollte). Mit Heilversprechen dürfen diese deshalb auch nicht beworben werden und in ihrer Aufmachung nur amtlich klar vorgegebene Aussagen zu Inhaltsstoffen verwenden.

Die Produkte erfreuen sich reger Beliebtheit und werden, in Drogerien, Online-Shops oder Apotheken erhältlich, unter anderem zur Entspannung bei Stress, bei Schmerzen oder der Entzündungslinderung eingesetzt; allein in Deutschland wurden in den letzten zwei Jahren an die 100 Nahrungsergänzungsmittel mit CBD auf den Markt gebracht.

CBD im Rahmen der Novel-Food-Verordnung

Die Novel-Food-Verordnung (erstmals in Kraft getreten in 1997 und seit Januar 2018 in überarbeiteter Form gültig) stuft alle Lebensmittel und -zutaten, die vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang verzehrt wurden, als Novel Food, also als neuartiges Lebensmittel ein. Dabei geht es in erster Linie um Stoffe in Lebensmitteln, die, durch bestimmte strukturelle Veränderungen, aus Pflanzen oder Tieren isoliert und/oder mit neuartigen Herstellungsverfahren generiert, die Verbrauchergesundheit beeinträchtigen könnten. Für die wissenschaftliche Bewertung der Einstufung ist die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zuständig, eine Zulassung erfolgt durch die EU-Kommission. Lokale Verwaltungsbehörden überwachen entsprechend die Einhaltung der detaillierten Vorgaben und entscheiden (je nach Bundesland auch unterschiedlich) über die Verkehrsfähigkeit dieser Produkte.

Teile der Cannabis-Pflanze, die – so die EFSA-Erkenntnis – keine Cannabinoide enthalten und deren Verwendung vor 1997 dokumentiert ist, dürfen in Lebensmitteln ohne Einschränkung verwendet werden (wie etwa Hanfsamen, Hanfsamenöl, Hanfsamenmehl oder fettfreies Hanfsamenprotein). CBD als isoliert betrachtete Einzelsubstanz dagegen wurden im Januar 2019 neu auf die Novel-Food-Liste verbracht und Produkte, die natürliche oder synthetische CBD-haltige Extrakte enthalten oder mit CBD angereichert wurden, müssen daher beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) nun neu zugelassen und gekennzeichnet werden. Auch Hanfextrakte, die CBDs enthalten, werden nun als neuartig angesehen und das BVL stuft die Produkte per se „bis auf Weiteres“ als nicht verkehrsfähig ein.

Die Novel-Food-Verordnung ist für Mitgliedstaaten zwar nicht rechtsverbindlich, diese Empfehlungen werden für gewöhnlich aber umgesetzt. Hersteller, Händler sowie Endverbraucher bewegen sich aufgrund dieser unklaren und kurzzeitig anberaumten Veränderungen nun in rechtlichen Grauzonen und sehen sich Anzeigen sowie Beschlagnahmungen ausgesetzt; große Drogerieketten etwa haben ihre CBD-Produkte aktuell ganz aus dem Sortiment genommen.

Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO)

Demgegenüber steht eine aktuelle Neubewertung der WHO, die nach gründlicher Prüfung im Februar 2019 eine Streichung von CBD-Produkten, deren THC-Gehalt 0,2 Prozent nicht übersteigt, aus dem Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel (Single Convention on Narcotic Drugs) empfohlen hat. Cannabidiol hat nach dieser Einschätzung keine nennenswert negativen Auswirkungen. Auch eine deutliche Abstufung der Sicherheitsbedenken gegenüber Cannabisblüten und Haschisch wird in dem aktuellen Bericht gefordert. Eine Entscheidung bezüglich dieser Neueinstufung wurde unlängst verschoben und wird nun spätestens für 2020 erwartet.

Positive CBD-Wirkweisen dokumentiert

Sowohl die Verschreibungsfähigkeit von medizinischem Cannabis, der legale Anbau von Nutzhanf sowie der Anstieg von frei verkäuflichen CBD-Produkten sind Entwicklungen der letzten Jahre, denen eine weltweit mindestens 2000-jährige umfassende und nutzbringende Verwendung der gesamten Pflanze vorangegangen ist. Die recht einseitige Berichterstattung über „gefährliche“ CBD-Produkte darf daher zumindest verwundern. Obwohl explizit pharmakologische Wirkungen der Pflanze erst seit der Entdeckung der Cannabinoid-Wirkweisen in den 1970er Jahren in den Fokus der medizinischen Forschung gerückt sind, sprechen diverse Studien über eine positive Wirkweise des CBD bei guter Verträglichkeit eine deutliche Sprache – und hier geht es um sehr viel höhere Dosierungen, als sie durch den Verzehr der Produkte im Nahrungsergänzungsbereich je erreichbar wären. Die WHO-Empfehlung bezieht überdies dazu klar Stellung.

Information statt Kriminalisierung

Dabei steht es außer Frage, dass alle im Handel erhältlichen Produkte ordnungsgemäß die richtigen Angaben zu den Inhaltsstoffen (etwa auch Zertifikate der Analyselabore) enthalten, die vorgeschriebene Menge des THC-Gehalts nicht überschreiten und im Fall von Nahrungsergänzungsmitteln eben nicht mit Heilversprechen beworben werden, solange solche Bestimmungen gelten. Was es allerdings zu vermeiden gilt, ist die Schaffung von Unsicherheiten durch rechtliche Grauzonen, die letzten Endes auch zulasten einer zu Unrecht kriminalisierten Endverbraucherschaft geht. Eine differenzierte, verbraucherfreundliche Aufbereitung aller Fakten sowie eine umfassende Klärung zum Umfang des legalen Vertriebs ist daher dringend angezeigt.

Quellen