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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Chlamydiose als Ursache der Multiplen Sklerose: Überlegungen zu einer antibiotischen Therapie

David Wheldon, Blickpunkt-Ausgabe 3/2019
(Aus dem Englischen übersetzt von Kathrin Grüner)

Dass Multiple Sklerose (MS) eine mysteriöse Erkrankung mit verblüffenden Eigenschaften ist, wird seit über einem Jahrhundert von zahlreichen Autoren immer wieder bestätigt – sei es etwa durch den französischen Pathologen Jean-Martin Charcot in der Mitte des 19. Jahrhunderts oder dem britischen Neuropathologen David Oppenheimer in den 1980er Jahren, mit dem ich in Oxford zusammenarbeiten durfte. Aufgrund seiner Beobachtungen zu familiären Häufungen, Besonderheiten in der geografischen Verbreitung sowie chronischen Entzündungsreaktionen in den kleinen Blutgefäßen des Gehirns kam er zu dem Schluss, dass es sich bei MS nicht um eine primäre Autoimmunerkrankung, sondern um eine von außen eingebrachte multifaktorielle Erkrankung handelt, die entsprechend zu therapieren ist.

Chronische Infektion als Auslöser

Wie Oppenheimer hatte der Pathologe Eduard von Rindfleisch bereits schon vor mehr als 130 Jahren beobachtet, dass den degenerativen Veränderungen der weißen Hirnsubstanz Veränderungen in den kleinen Blutgefäßen des Gehirns vorausgegangen waren. „Wenn man frische Herde in der weißen Hirnsubstanz gründlich betrachtet, so sieht man mit bloßem Auge einen roten Punkt oder eine rote Linie in der Mitte jedes einzelnen Herdes, das quer oder längs eingeschnittene Lumen eines kleinen blutgefüllten Gefäßes“, so Rindfleisch. „Alle Gefäße, die innerhalb dieser Herde verlaufen, aber auch diejenigen, die sich in der unmittelbaren Umgebung im noch intakten Parenchym befinden, sind chronisch entzündet.“ 
Wenn wir uns diese Gefäßentzündungen unter dem Mikroskop genauer anschauen, so sehen wir, dass die kleinen Gefäße durch Wirtszellen verengt werden. Es handelt sich hierbei um T-Lymphozyten, einen wesentlichen Bestandteil des intrinsischen Immunsystems. Diese Verengung der Gefäße kann in einiger Entfernung vom Herd auftreten; in der Nähe des Herdes scheinen die Gefäße gereizt und entzündet. Schließlich wirken sie unregelmäßig und werden verschlossen. Wir haben folglich Belege für eine zugrunde liegende Vaskulitis, bei der sich eine schleichende Entzündung von Zelle zu Zelle in der Wand der kleinen Blutgefäße ausbreitet, und können daher vermuten, dass wir hier eine ineffiziente und selbstschädigende Wirtsreaktion auf eine subklinische chronische Infektion beobachten – eine seit Jahrzehnten bestehende chronische Infektion.

Das Bakterium Chlamydophila pneumoniae als Ursache

Die MS könnte zwar eine Vielzahl von Ursachen haben, unter starkem Verdacht steht jedoch das Bakterium Chlamydophila pneumoniae, das häufig eine in der Regel leicht verlaufende Bronchitis verursacht. Dieses Bakterium konnte von Stratton et al. 1999 aus dem Liquor von MS-Patienten angezüchtet werden. Dieselben Autoren fanden spezifische Gensequenzen des Keims im Liquor; ein Hinweis darauf, dass der Keim metabolisch aktiv ist. In darauffolgenden Studien wurde die Bedeutung dieser Schlüsselentdeckung unterstrichen. So fanden Hintzen et al. 2003 einen Zusammenhang zwischen MS-Schüben und neuen Infektionen der Atemwege durch C. pneumoniae. Im selben Jahr fanden Ascherio et al. eine statistisch signifikante Erhöhung der Spiegel von für C. pneumoniae-spezifischen Serumantikörpern bei Patienten mit progredientem Verlauf.

Myelinverlust als sekundärer Vorgang

MS wird derzeit als primär demyelinisierende Autoimmunerkrankung verstanden. Myelin ist ein isolierendes Lipoprotein, das den Axonen der Neurone anliegt. Es wird von Gliazellen (Oligodendrozyten) produziert und unterstützt. Ein plötzlicher lokaler Myelinverlust führt zum akuten MS-Schub. 
Dieser Myelinverlust könnte jedoch ebenso gut ein sekundärer Vorgang sein. Die Tatsache, dass eine Vaskulitis der Netzhaut häufig mit MS in Verbindung gebracht wird, lässt erheblich daran zweifeln, ob eine Myelinopathie tatsächlich die eigentliche Ursache von MS ist. Myelin und die Oligodendrozyten, die es produzieren, gibt es in der Netzhaut nicht. Zudem zeigen sich die ersten pathologischen Veränderungen bei MS in den kleinen Blutgefäßen, nicht in den Nerven und Gliazellen. Barnett und Prineas haben anhand von Autopsien an MS-Patienten, die kurz nach einem Schub verstorben waren, gezeigt, dass die Demyelinisierung ein nachgeordnetes Phänomen ist: Das erste Ereignis, das in einem neu gebildeten MS-Herd erkennbar wird, ist ein plötzliches, geordnetes, nicht entzündliches Massensterben von Zellen, die Myelin herstellen und es unterstützen. 

Die Epidemiologie der MS deutet auch auf einen übertragbaren, im Jugendalter erworbenen Faktor hin. So haben Kurtzke et al. herausgefunden, dass die ersten Fälle von Multipler Sklerose auf den Färöer-Inseln erst nach der Einquartierung der britischen Soldaten während des Zweiten Weltkriegs bekannt wurden. 

Überlegungen zur Therapie mit Antibiotika

Antibiotika bei Chlamydiosen

Die Behandlung einer chronischen C. pneumoniae-Infektion mit Antibiotika ist problematisch. Der Keim lebt innerhalb der Wirtszelle und geht, wenn er mit einem einzelnen Antibiotikum behandelt wird, in eine andere, sogenannte aberannte Form über. Aus dieser heraus kann er allerdings erneut in eine Phase des aktiven Stoffwechsels eintreten, wenn das Antibiotikum abgesetzt wird. 

Parallele Gabe mehrerer Antibiotika nötig

Woessner et al. behandelten MS-Patienten ausschließlich mit Roxythromycin, allerdings ohne Erfolg. Damit wird klar, dass eine erfolgreiche Therapie die Gabe mehrerer Antibiotika über einen langen Zeitraum (etwa ein Jahr) erforderlich macht. Ich empfehle demnach die Einnahme von Doxycyclin und Roxythromycin in der Erwartung, dass diese Kombination die Anzahl intrazellulärer Keime deutlich reduziert. Sie zwingt das Bakterium zudem in seine aberannte Form, in der es seinen Stoffwechsel anaerob ausrichtet (ein Prozess, der auch als sogenannte stringente Antwort, Stringent Response, bekannt ist). In dieser Form lässt es sich gut mit Medikamenten wie Metronidazol behandeln, die vorsichtig dazu genommen werden sollten. Dabei sollte wirklich vorsichtig vorgegangen werden, da das Bakterium Endotoxine enthält. Werden diese zu schnell freigesetzt, können sie beim Patienten Beschwerden hervorrufen. Weiter eignet sich die zusätzliche Einnahme von N-Acetylcystein, um die sogenannten Elementarkörperchen (die Sporenform von C. pneumoniae) zu zerstören.
Besonders in der schubförmigen oder frühen progredienten Phase lässt sich MS mit dieser Therapieform häufig erfolgreich behandeln. 

Vorbehalte gegenüber dieser Therapieform

Trotz deutlicher Hinweise auf eine Beteiligung von C. pneumoniae an MS beziehen nur wenige Neurologen diese in ihre Überlegungen mit ein und noch seltener verordnen sie eine risikoarme Antibiotikatherapie. Wie kommt das? Es scheint, als wäre das Konzept, die MS sei eine primäre Autoimmunkrankheit, in der Psyche der Mediziner so festgeschrieben, dass nur wenige über den Zaun der anerkannten (jedoch nicht bewiesenen) Hypothesen hinausschauen möchten. Zudem lässt sich mit teuren Therapien wie monoklonalen Antikörpern sehr viel mehr Geld verdienen als mit Antibiotika, deren Patente bereits abgelaufen sind.

Quellen

www.cpnhelp.org, ein nützliches Forum zur Diskussion chronischer Infektionen mit C. pneumoniae.

www.davidwheldon.co.uk/ms-treatment.html, mit weiteren Einzelheiten einschließlich Zitaten, Literaturangaben und weitere Informationen.