Skip to main content

Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Fehlende Evidenz bei DiGA Notwendige Nachbesserungen bei den „Apps auf Rezept“

Red., Blickpunkt-Ausgabe 01/2023

Durch das Digitale Versorgungsgesetz haben Patient*innen der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) seit Oktober 2020 einen Anspruch auf sogenannte Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA). Diese „Apps auf Rezept“ sollen mit geringem Risiko für Betroffene Erkrankungen erkennen und/oder lindern und Ärzt*innen bei der Diagnosestellung oder Therapie unterstützen – ihr medizinischer Nutzen sollte sich also in einer verbesserten Gesundheit, einer verkürzten Krankheitsdauer, einem verlängerten Überleben oder einer verbesserten Lebensqualität zeigen.

Was sind DiGA?

DiGA werden entweder von behandelnden Ärzt*innen oder Psychotherapeut*innen verschrieben oder nach einer gesicherten Diagnose selbstständig direkt bei der Kasse beantragt und anschließend mittels eines anonymisierten Rezeptcodes in den Appstores (Google, Apple) oder auf den Seiten der Herstellerfirmen auf Smartphone oder Tablet heruntergeladen. Im Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) finden sich aktuell 48 DiGA zur Auswahl, nur 16 davon sind allerdings dauerhaft aufgenommen, der Rest befindet sich „in der Erprobung“.

Fragwürdiger Nutzen bei hohen Kosten

Bereits im Mai 2022 monierte der GKV-Spitzenverband die hohen Anwendungskosten angesichts eines oftmals fragwürdigen Nutzens. Bis Ende September 2021 wurden demnach rund 50.000 DiGA verordnet/von den Krankenkassen genehmigt und dafür rund 13 Mio. Euro gezahlt. Das betrifft insbesondere auch zur Erprobung gelistete Anwendungen, deren Nutzen nicht hinreichend bewiesen ist. Die Preise der DiGA werden im ersten Jahr von den Herstellern (häufig IT-Firmen, Pharmakonzerne oder Krankenkassen) vorgegeben und bewegen sich zwischen 200 und 700 Euro für drei Monate, durchschnittlich also etwa 400 Euro im Quartal – liegen damit also deutlich über den Summen, die für identische digitale Anwendungen außerhalb der DiGA-Liste normalerweise fällig werden. Auch wenn sich die Kosten durch die Verhandlungen von GKV und Herstellern im zweiten Jahr reduzieren, müssen die Apps nach geltender Regelung derzeit in jedem Fall bis zu zwei Jahre von der GKV finanziert werden, auch wenn zum Zeitpunkt der Aufnahme in das Verzeichnis noch kein ausreichender bzw. vollständiger Nachweis zur Wirksamkeit erbracht wurde, sondern lediglich die Selbstauskünfte der Hersteller bewertet wurden.
Für die MS sind das etwa Anwendungen wie elevida (dauerhaft) für einen Preis von 234 Euro und levidex (vorläufig) für einen Preis von aktuell 2.077,40 Euro, die mittels Techniken der kognitiven Verhaltenstherapie Fatigue reduzieren oder in der reinen Selbstanwendung durch virtuelle Gespräche mit dem Online-Programm die Lebensqualität verbessern helfen sollen.

Es fehlt an Evidenz

Unlängst legten Expert*innen der Universität Erlangen-Nürnberg, der TU Berlin und der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) eine genaue Analyse zur Studienlage der aktuell in den Leistungskatalog aufgenommenen DiGA vor. Hierbei stehen insbesondere die derzeitigen Aufnahmekriterien im Fokus. Demnach fehle es den DiGA an Evidenz, und die von den Herstellern vorgelegten Wirksamkeitsstudien genügten keinen wissenschaftlichen Standards. Dazu kämen Unklarheiten bezüglich der Erprobungszeiträume, der Kosten, der Haftung und des Umgangs mit möglichen unerwünschten Wirkungen – es entstünden hier also letztendlich auch Sicherheitsrisiken für die Anwender*innen. Kosten und Nutzen ständen, so das Fazit, in keinem Verhältnis – insbesondere zu einer Zeit, wo diese Summen dringend an anderen Stellen im Gesundheitssystem benötigt würden.

Nachbesserungen sind notwendig

Unklar bleibt auch, warum für die Nutzenbewertung nicht dieselben Qualitätsanforderungen wie für ärztliche Methoden, Heil- oder Hilfsmittel gelten. Denn dass den digitalen Anwendungen zwar grundsätzlich ein Potenzial zur Stärkung der Gesundheitskompetenz zugesprochen wird, kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass aktuell reihenweise Apps mit unklarem medizinischem Nutzen – und damit auch möglichen Gesundheitsrisiken für Betroffene – quasi mit Steuergeldern gefördert werden, während andererseits immer mehr sinnvolle Leistungen aus den GKV-Katalogen dem Rotstift zum Opfer fallen.

Quellen