Lenacapavir, ein Meilenstein in der HIV-Prävention – aber wer wird Zugang dazu erhalten?
Astrid Berner-Rodoreda, Blickpunkt-Ausgabe 02/2025
Dass wir uns nicht aus der HIV-Epidemie heraustherapieren können, steht schon lange fest. Die hohen Infektionszahlen erfordern eine effektive Prävention, die Hand in Hand geht mit der Ausweitung der antiretroviralen Therapie. Ein neue Präventionsspritze – Lenacapavir – könnte die HIV-Prävention revolutionieren, aber der Preis wird die Musik machen. Welche Länder und NutzerInnen werden sich die Spritze leisten können? Wo wird sie erhältlich sein? Seit Anfang dieses Jahres kommt hinzu, dass die amerikanische Regierung sich aus ihrer Rolle als wichtigster globaler Unterstützer im HIV-Bereich weitgehend zurückgezogen hat.
Die Wichtigkeit der HIV-Prävention
Um bis 2030 Aids als Epidemie zu beenden, wie es in den Nachhaltigen UN-Entwicklungszielen festgelegt wurde, benötigen wir alle Anstrengungen in der Ausweitung der Therapie und der Prävention. Fast 31 Mio. der ca. 40 Mio. Menschen (77 %), die mit HIV weltweit leben, erhielten 2023 die antiretrovirale Therapie (UNAIDS, 2024); wenn sich jedoch jedes Jahr über 1 Mio. Menschen neu infizieren, bleibt das Ende der Epidemie in weiter Ferne. Die Prävention muss Schritt halten. 2025 sollte die Anzahl der jährlichen Neuinfektionen auf unter 370.000 sinken (UNAIDS, 2022). 2023 waren es jedoch noch mehr als dreimal so viel: 1,3 Mio. Menschen hatten sich mit HIV infiziert (UNAIDS, 2024).
Es gibt viele Arten, sich vor HIV zu schützen. Zu den effektivsten gehören bisher Kondome (wenn sie konsequent und richtig angewendet werden), Tabletten bestehend aus zwei antiretroviralen Medikamenten sowie eine zweimonatige Spritze. Auch ein Vaginalring existiert, ist jedoch weniger effektiv im Schutz gegen HIV. Nicht jeder Mensch hat dieselben Bedürfnisse oder Lebensrealitäten, so dass ein Spektrum an Präventionsmethoden wichtig ist.
Zwei Studien einer neuen Präventionsspritze, die nur zweimal jährlich verabreicht werden muss, lassen aufhorchen: Das Mittel Lenacapavir hat sich als hochwirksam im Schutz gegen HIV erwiesen.
Was genau sagen die Studienergebnisse zu Lenacapavir?
Die erste Studie zu Lenacapavir als Präventionsspritze (PURPOSE-1) wurde in Südafrika und Uganda mit über 5.000 jungen Frauen durchgeführt: Ca. 2.000 Frauen bekamen die Spritze Lenacapavir zweimal jährlich und Placebotabletten, die sie täglich einnehmen mussten. Die anderen beiden Studienarme bekamen täglich Präventionstabletten bestehend aus je zwei antiretroviralen Substanzen – F/TAF und F/TDF – und jedes halbe Jahr eine Placebospritze. Während der Studie kam es zu 55 HIV-Infektionen, allerdings allesamt in den Kontrollstudienarmen mit der täglichen Tabletteneinnahme (39 bei F/TAF mit 2.136 Teilnehmenden; 16 bei F/TDF mit 1.068 Teilnehmenden). Im Lenacapavir-Arm der Studie war es zu keiner einzigen Infektion gekommen (Bekker et al., 2024). Diese bemerkenswerten Resultate wurden auf der Welt-Aids-Konferenz in München im Juli 2024 gefeiert.
Eine weitere Studie (PURPOSE-2) wurde mit über 3.000 Männern, die Sex mit Männern haben, und genderdiversen Personen in sieben Ländern (Südafrika, USA, Brasilien, Mexiko, Argentinien, Peru und Thailand) von Juni 2021 bis Ende 2023 durchgeführt. Etwa 2.000 Studienteilnehmende bekamen die Präventionsspritze und tägliche Placebotabletten, etwa 1.000 nahmen täglich die Präventionstablette F/TDF ein und erhielten eine Placebospritze alle 6 Monate verabreicht. Auch hier zeigte sich Lenacapavir als äußerst wirksam: Unter den 2.179 Teilnehmenden, die Lenacapavir erhielten, infizierten sich nur zwei Personen mit dem HI-Virus, während sich unter den Teilnehmenden, die die täglichen Präventionstabletten bekamen, 9 von 1.086 infizierten (Kelley et al., 2025). PURPOSE-1 und -2 zeigen Lenacapavir daher als hochwirksam. Reaktionen an der Einstichstelle ließen mit der Zeit nach. Sonstige Nebenwirkungen waren im Lenacapavir- und im Kontrollarm bei PURPOSE-2 vergleichbar. Lenacapavir ist somit ein großer Hoffnungsträger für die HIV-Prävention. Die Firma Gilead plant weitere Studien mit einer einmal jährlichen Injektion.
Nutzen und Risiken
Prinzipiell könnten alle Menschen, die einem hohen HIV-Risiko ausgesetzt sind, von Lenacapavir profitieren, wenn die Spritze zu einem bezahlbaren Preis angeboten wird. Der klare Vorteil von Lenacapavir gegenüber anderer bestehender Präventionsoptionen liegt darin, dass man die Spritze nur alle 6 Monate verabreicht bekommt (in Zukunft wahrscheinlich nur noch einmal jährlich, wenn die Studienergebnisse dazu ebenfalls positiv ausfallen), dass sie äußerst effektiv ist, eine Infektion zu verhindern und dass sich die Substanz als bisher nebenwirkungsarm erwiesen hat. Das könnte NutzerInnen über einen langen Zeitraum ein Leben ohne Stigma und viele Klinikbesuche ermöglichen – mit einem sehr guten Schutz vor einer HIV-Infektion.
Allerdings bleibt die Substanz über einen langen Zeitraum im Körper. Bei Absetzen kann sie noch ein Jahr im Blut nachgewiesen werden, allerdings nicht mehr in der Konzentration, dass sie den/die NutzerIn schützt. Das heißt, wer Lenacapavir absetzen möchte, muss über einen langen Zeitraum andere Präventionsmethoden anwenden. Ansonsten besteht das Risiko, dass sich Resistenzen bilden, was eine antiretrovirale Therapie erschweren würde. Lenacapavir als Präventionsmethode einzusetzen heißt somit, sich über einen längeren Zeitraum auf die Präventionsspritze festzulegen und eine Präventionskombination beim Ausschleichen einzusetzen.
Wer wird Zugang bekommen?
Der Preis für die zweimal jährliche Spritze zur Verhinderung einer HIV-Infektion ist noch nicht bekannt. Lenacapavir gibt es jedoch schon als „letzte Rettung“ (salvage therapy) für HIV-positive Menschen, bei denen andere antiretrovirale Medikamente versagt haben. Lenacapavir als antiretrovirale Therapie kostet in den USA über 40.000 US-Dollar pro Person und Jahr. Die reinen Produktionskosten spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Laut Berechnungen von Pharmakologen werden sie auf 100 US-Dollar bei 1 Mio. NutzerInnen pro Person und Jahr und auf 40 US-Dollar pro Person und Jahr bei 10 Mio. NutzerInnen kalkuliert (Hill et al., 2024).
Die Firma Gilead hat angekündigt, über freiwillige Lizenzen mit handverlesenen Firmen die Versorgung mit günstigeren Generika (Nachahmerprodukte, die wirkstoffidentisch mit dem Originalprodukt sind) in 120 Ländern zu ermöglichen. Darunter sind viele Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen – es fehlen jedoch wichtige Länder mittleren Einkommens wie Peru, Mexiko, Argentinien und Brasilien, die Teil der PURPOSE-2-Studie waren. Brisanterweise sind sie nicht in das Lizenzgebiet eingeschlossen. Das wirft ethische Fragen auf, da Gruppen, die dem Studienrisiko ausgesetzt sind, auch vom Nutzen profitieren sollten – nicht nur die Individuen, die an der Studie teilnahmen, sondern ganze Gemeinschaften. Hier sollte die Firma noch einmal nachbessern und zumindest für den öffentlichen Gesundheitssektor den Zugang mit kostengünstigen Generika ermöglichen. Auch wäre eine Lizenzierung von Lenacapavir an den Medicines Patent Pool mit einem möglichst breiten Lizenzgebiet eine bessere Strategie, da sich alle Generikafirmen dann für Lizenzen bewerben können und somit durch größeren Wettbewerb die Preise eines Generikums fallen würden, was Ländern mittleren und niedrigen Einkommens zugutekäme.
Bisher ist die Spritze noch nirgends verfügbar. Im Dezember 2024 hat Gilead die Zulassung für die 6-monatige Präventionsspritze durch die Food and Drug Administration (FDA) in den USA beantragt. Es wird erwartet, dass die Entscheidung darüber im Juni 2025 fällt. Weitere Zulassungsanträge sind bei den europäischen und südafrikanischen Zulassungsbehörden (EMA und SAHPRA) in Bearbeitung.
Im Februar 2025 kündigte die US-Regierung an, dass in US-finanzierten HIV-Programmen der Zugang zur Prä-Expositionsprophylaxe (medikamentöser Schutz gegen eine HIV-Infektion durch Tabletten oder über langanhaltende Substanzen wie Injektionen) nur noch für schwangere und stillende Frauen angeboten werden dürfen (US Department of State, 2025). Daraufhin mussten Implementierungspartner in Ländern mittleren und niedrigen Einkommens ihre HIV-Präventionsangebote stark einschränken. Inwieweit die Regierungen der betroffenen Länder selbst mehr Mittel zur Verfügung stellen können, was der Globale Fonds – dessen wichtigster Geldgeber jedoch ebenfalls bisher die US-Regierung war – übernehmen kann, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar. Allerdings wird erwartet, dass, wenn die Mittel im HIV-Bereich für die stark von HIV-betroffenen Ländern knapp werden, der Fokus auf der antiretroviralen Therapie liegen wird und muss.
Keiner wünscht sich die Tage zurück, wo das Gesundheitspersonal entscheiden musste, wer Zugang zur Therapie erhält und wer nicht. Die Prävention wird dann wieder zweitrangig werden, obwohl allen klar ist, dass wir beides benötigen: die Ausweitung der Therapie und der HIV-Prävention, für die Lenacapavir einen großen Durchbruch darstellen könnte. Eine nachhaltige internationale und nationale Förderung, eine breite Zulassung und die Bereitstellung von bezahlbaren Generika sind wichtiger denn je, damit der Hoffnungsträger Lenacapavir auch wirklich zu einem „game-changer“ in der HIV-Prävention wird.
Quellen
- Bekker, L.-G. et al. 2024. Twice-yearly Lenacapavir or daily F/TAF for HIV prevention in cisgender women, abrufbar im Internet unter www.doi.org/10.1056/NEJMoa240700.
- Hill, A. et al. 2024. Lenacapavir to prevent HIV infection: Current prices versus estimated costs of production, abrufbar im Internet unter www.doi.org/10.1093/jac/dkae305.
- Kelley, C. F. et al. 2025. Twice-yearly Lenacapavir for HIV prevention in men and gender-diverse persons, abrufbar im Internet unter www.doi.org/10.1056/NEJMoa2411858.
- UNAIDS 2022. HIV prevention—2025—Getting on track to end AIDS as a public health threat by 2030, abrufbar im Internet unter www.unaids.org/sites/default/files/media_asset/prevention-2025-roadmap_en.pdf.
- UNAIDS 2024. The urgency of now—AIDS at a crossroads, 2024 global AIDS report, abrufbar im Internet unter www.unaids.org/en/resources/documents/2024/global-aids-update-2024.
- US Department of State 2025. HIV care & treatment and prevention of mother to child transmission activities approved under PEPFAR Limited Waiver, abrufbar im Internet unter www.unaids.org/sites/default/files/media_asset/GHSD_PEPFAR-Limited-Waiver-Approved-Activities.pdf.