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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Mind and Motion: Pilates bei MS

Gabriele Engelhardt, Blickpunkt-Ausgabe 02/2022

Schon bereits zu Lebzeiten träumte Joseph Pilates davon, dass seine von ihm erfundene Trainingsmethode weltweit bekannt werden würde. Der Visionär und Sportbegeisterte, der 1883 in Deutschland geboren wurde, hatte schon früh das Ziel, ein System zu entwickeln, das körperliche Schwächen besiegen und dem Körper helfen sollte, in seine ursprüngliche Kraft zurückzufinden. Diese Motivation entsprang sicherlich auch dem Umstand, dass er selbst in seiner Kindheit häufig krank war. Als Vorbilder für seine Trainingsmethode dienten ihm die Atemtechnik des Yoga und der Kampfsport. Zudem verbrachte Pilates viel Zeit in der Natur und war fasziniert von den eleganten Bewegungsmustern der Tiere und ihrer Körperspannung, wenn sie etwa zum Sprung ansetzten. Heute zählt die nach ihm benannte Trainingsmethode Pilates zu den bedeutendsten Körpertrainingssystemen und wird auch in der Therapie von unterschiedlichen Beeinträchtigungen immer populärer.

Grundideen

Joseph Pilates fasste in seinem Buch „Return to life through contrology” alle wesentlichen Übungen zusammen. Sie waren so angelegt, dass sie auf einer Matte und ohne zusätzliche Hilfsmittel, wie etwa Hanteln, durchgeführt werden konnten. Das Training sollte einen Ausgleich zu den einseitigen Alltagsbewegungen bilden. Das Ziel, eine Balance im Körper herzustellen und auf einen symmetrischen Aufbau des Körpers zu achten, stand dabei im Mittelpunkt seiner Bewegungslehre. Hinzu kamen die von ihm entwickelten Prinzipien, die ihm als Fundament für seine Trainingsmethode dienten.
Im Vordergrund stand in erster Linie die richtige Atmung. Denn sie hilft grundsätzlich dabei, alle Bewegungen präzise und müheloser auszuführen. Dabei sollte durch die Nase tief eingeatmet und durch den leicht geöffneten Mund wieder ausgeatmet werden. Die Konzentration auf den eigenen Körper war ihm dabei besonders wichtig. Jede Übung sollte von hoher Aufmerksamkeit für die Bewegungen begleitet werden, um so ein Bewusstsein für den eigenen Körper zu schaffen.
Die Zentrierung auf eine „starke Mitte“, wie er es nannte, war der Ausgangspunkt für jede Übung. Diese Mitte, mit der er den Rumpf meinte, bezeichnete er als sogenanntes „Powerhouse“. Es setzt sich aus einer aktiven Bauchmuskulatur und einem gestärkten Beckenboden zusammen. Die sich beim Ausatmen schließenden Rippenbögen kamen als drittes Element hinzu. Diese drei Komponenten verleihen dem Körper die nötige Kraft und Stärke, die Übungen auszuführen, und sind vor allem auch für eine aufrechte Haltung zuständig.
Diese Zentrierung wurde begleitet von einer Kontrolle über den eigenen Körper und vor allem über den Geist. Die Ausführung sollte präzise und kontrolliert erfolgen, um einer Verletzungsgefahr vorzubeugen.

Anspannung, Entspannung und Muskelaufbau

Im Laufe der Zeit entwickelte Pilates nicht nur Übungen, sondern auch Geräte, die den Bewegungsablauf des Körpers führen sollten. Aber sowohl beim Mattentraining als auch beim Einsatz von Übungsgeräten waren Anspannung, Muskelaufbau, Entspannung und Dehnung der Muskulatur eine natürliche Abfolge. Eine bestimmte Wiederholungsfrequenz innerhalb einer Übung diente dem Muskelaufbau. Daran schloss sich eine Entspannungsphase mit anschließender Dehnung der Muskulatur an. All dies führte zu mehr Stärke, Kraft, Haltung und vor allem zu mehr Beweglichkeit des Körpers, ohne ihn dabei zu malträtieren, sondern ihn in erster Linie langfristig zu schonen.

Was macht das Pilates-Training so besonders?

Ein wesentlicher Unterschied zu vielen anderen Trainingsmethoden ist in diesem Zusammenhang der Bewegungsfluss. Alle Übungen folgen einem natürlichen Bewegungsablauf des Körpers und gehen im Laufe des Trainings fließend ineinander über. Sie fördern so Balance und Koordinationsvermögen und bilden die ideale Ausgangslage, um alle alltäglichen Bewegungsabläufe zu verbessern.
Charakteristisch für dieses sanfte Ganzkörpertraining sind Bewegungen, die ständig zwischen Dehnung und Kräftigung wechseln, gezielt die tiefliegende Rumpfmuskulatur stärken und zugleich Flexibilität, Koordination und Eigenwahrnehmung fördern.

Pilates als Präventions- und Rehabilitationstraining

Als Joseph Pilates 1926 in die USA emigrierte, fasste er mit seiner Trainingsmethode sehr schnell Fuß in New York – überwiegend auch, weil er damit in kürzester Zeit große Heilungserfolge bei seinen Klient*innen erzielte. Menschen mit Verletzungen wurden von ihm individuell betreut, und er führte ein auf sie persönlich abgestimmtes Übungsprogramm durch. Schon nach wenigen Sitzungen ließen sich bei den Betroffenen deutliche Veränderungen feststellen.

Die Pilates-Trainingsmethode ist heute aus den vielen Bewegungskonzepten der Fitnessbranche nicht mehr wegzudenken. Die enormen Erfolge, die Pilates zu seiner Zeit damit erzielte, setzen sich bis heute fort. Dabei wird man feststellen, dass jede Pilates-Trainer*in eine eigene Note einbringt. So kann es gut passieren, dass die Trainingseinheiten bei unterschiedlichen Lehrer*innen einem anderen Aufbau folgen, sich die Übungen in Nuancen unterscheiden oder auch zum Teil Einflüsse von anderen Trainingskonzepten einfließen.
Grundsätzlich lässt sich jedoch an dieser Stelle feststellen, dass nahezu jede*r in der Lage ist, ein Pilates-Training zu absolvieren – es eignet sich also als Präventions- und Rehabilitationstraining gleichermaßen. Die Trainier*innen sind stets darauf fokussiert, die Anzahl und Auswahl der Übungen auf ihre Teilnehmenden abzustimmen und sie bei der Ausführung der Übung persönlich zu unterstützen.
Gerade für Menschen, die an Multipler Sklerose erkrankt sind, hat sich Pilates als eine ideale und sanfte Rehabilitationssportart herausgestellt. Regelmäßiges Pilates-Training kann das Gleichgewichtsvermögen, die Beweglichkeit und die Muskelkraft von MS-Betroffenen verbessern. Zudem gibt es Hinweise, dass es sich auch auf MS-typische Erschöpfungszustände (Fatigue) positiv auswirkt. Mit Pilates können Betroffene ihre Körperhaltung und Bewegung kontrollieren, die Koordination schulen sowie ihr Gleichgewicht verbessern. Die bewusste Atmung während der Übungen stärkt die Lungenfunktion und wirkt entspannend.
Eine anteilige Übernahme der Kurskosten ist je nach Kasse möglich.

Quelle

  • Pilates, J. H./Miller, W. J., 2014 (1945). Return to life through contrology. Eastford: Martino Fine Books.