
Wie behandelt man MS? - Teil 4: Schubtherapie
Christiane Fischer, Blickpunkt-Ausgabe 02/2025
Neben den bereits vorgestellten langfristigen Ansätzen zur Vorbeugung bzw. zur Eindämmung des Schubrisikos und damit dem Fortschreiten der Erkrankung kommt zur Behandlung eines akuten MS-Schubs die sogenannte Schubtherapie zum Einsatz.
Was ist ein MS-Schub?
Unter einem MS-Schub versteht man Krankheitssymptome, die durch eine MS-bedingte frische entzündliche Läsion im Zentralnervensystem (ZNS) ausgelöst werden, mehr als 24 Stunden anhalten, sich dann aber ganz oder zumindest teilweise wieder zurückbilden. Zwischen zwei Schüben müssen mindestens 30 Tage liegen. Bei Wiederauftreten eines zunächst in Besserung begriffenen oder abgeklungenen neurologischen Defizits innerhalb von 30 Tagen handelt es sich um einen reaktivierten Schub, beim Wiederauftreten nach 30 Tagen um einen erneuten Schub. Tritt innerhalb der 30 Tage ein neues neurologisches Defizit an einer anderen Stelle auf, spricht man von einem Schubkomplex.
Davon zu unterscheiden sind Krankheitssymptome, die durch äußere Einflüsse (etwa die Temperatur, Infekte, starke Erschöpfung oder anderweitige physische oder organische Ursachen) hervorgerufen werden – hier spricht man auch von einem Pseudo-Schub.
Tatsächlich sind berichtete Defizite oft unterschiedlich gut objektivierbar und unterliegen Schwankungen in der subjektiven Wahrnehmung. Es müssen daher funktionelle und subjektive von entzündungsbedingten Funktionsstörungen abgegrenzt werden. Etwaige Unsicherheiten, ob ein echter Schub vorliegt, lassen sich durch eine Magnetresonanztomografie (MRT) ausräumen, auch wenn sich nicht jeder Schub im MRT nachweisen lässt.
Stoßtherapie
Die Akuttherapie des MS-Schubs ist weitgehend unstrittig. Da es sich hier zumeist um einen medizinischen Notfall handelt, werden innerhalb von zwei bis fünf Tagen nach Auftreten der Symptome im Rahmen einer Kortison-Puls- oder -stoßtherapie Glukokortikosteroide (Kortison) als Infusion verabreicht, um die Entzündungsaktivität zu hemmen und die Rückbildung der MS-Symptome zu fördern. Gängig ist hier die Gabe von Methylprednisolon, wobei es nur wenige methodisch gute Studien gibt, in denen unterschiedliche Kortisonformen und -dosierungen miteinander verglichen und deren Wirkung auf die Schübe untersucht werden.
Zunächst wird grundsätzlich kurz und hochdosiert begonnen. Meistens wird Methylprednisolon in einer Dosierung von 500–1.000 mg pro Tag über drei bis fünf Tage verabreicht. Eine Studie zeigt, dass orales Methylprednisolon der intravenösen Gabe beim akuten MS-Schub nicht unterlegen ist, wie u. a. das Deutsche Ärzteblatt berichtet. Es gibt aber bisher keine Belege dafür, dass eine Schubtherapie einen Einfluss auf das Auftreten weiterer Schübe oder den Verlauf der MS hat. Wenn nach der ersten Kortison-Stoßtherapie keine ausreichende Besserung eingetreten ist, kann eine Steigerung („Eskalation“) der Schubtherapie mit 2.000 mg Methylprednisolon pro Tag über drei bis fünf Tage durchgeführt werden. Allerdings gibt es auch für dieses Vorgehen keine sicheren Wirksamkeitsbeweise aus Studien.
Plasmapherese und Immunadsorption
Wenn Kortison nicht wirksam ist oder ein sehr schwerer Schub vorliegt (also etwa das Augenlicht oder die Gehfähigkeit akut bedroht sind), kommen sogenannte Plasmaaustauschverfahren zum Einsatz. Bei einer Plasmapherese erfolgt dies in der Regel stationär über 10 Tage in fünf bis sieben Zyklen. Über die Hals- oder Armvene wird Blut aus dem Körper entnommen, das flüssige Plasma von den Blutzellen getrennt, durch fremdes Plasma oder humanes Albumin ersetzt und den Betroffenen wieder zugeführt. Diese Behandlung sollte möglichst vier bis sechs Wochen nach Auftreten des MS-Schubs beginnen.
Über die Erfolgsquote der Plasmapherese gibt es unterschiedliche Angaben, sie schwanken zwischen mehr als 40 und 70 %.
Alternativ kann die Immunadsorption angewendet werden. Ähnlich der Blutspende wird das Blut langsam und kontinuierlich einer Armvene entnommen. Dann wird es zunächst in Blutzellen und Blutflüssigkeit (Plasma) getrennt. Das Plasma wird nach der Trennung von den Blutzellen mit Hilfe eines Adsorbers „gereinigt“ und Antikörper sowie andere Komplexe des Abwehrsystems gezielt zurückgehalten (adsorbiert). Das so gereinigte Blut wird anschließend über eine weitere Vene den Betroffenen wieder zurückgegeben.
Die Behandlung dauert in der Regel zwischen zwei bis drei Stunden und wird in Serien von drei Behandlungen pro Woche über zwei Wochen durchgeführt.
Beide Verfahren sind wahrscheinlich gleichwertig. Aufgrund der Notwendigkeit eines zentralen Gefäßzugangs sind sie aufwändig und nur stationär durchzuführen.
Ziel der Schubtherapie
Die Schubtherapie möchte eine möglichst komplette Rückbildung der entstandenen neurologischen Defizite erzielen – eine nachhaltige Wirkung auf die generelle Schubrate, Erkrankungsaktivität und langfristige Prognose der Erkrankung sind aber nicht belegt.
Beim akuten Schub handelt es sich nur selten um Symptome, die sich in Stunden oder Tagen zurückbilden, meistens dauert es einige Wochen oder sogar Monate. Hier hängt es also stark davon ab, welche neurologischen Ausfälle vorliegen und wie ausgeprägt diese sind. Als Grundregel gilt: Je schwerer und ausgeprägter ein Schub, umso länger dauert es, bis sich die Symptome wieder zurückbilden. Bei über 80 % der Betroffenen geschieht dies in aller Regel, im weniger idealen Fall können Defizite aber auch zurückbleiben.
Dosierung und Dauer der Kortison-Stoßtherapie
Die Schwere des Schubs, der Abstand zum Symptombeginn (bei einer Symptomdauer von mehr als vier bis fünf Wochen ist sie weniger aussichtsreich), die Verträglichkeit einer früheren Kortison-Stoßtherapie sowie Vor- und Begleiterkrankungen und relative Kontraindikationen bestimmen die Dauer und Dosierung der Therapie.
Da hochdosiertes Kortison verabreicht wird, müssen Blutzuckerspiegel und Blutsalze im Verlauf bestimmt werden. Bei Frauen im gebärfähigen Alter sollte im Zweifelsfall vorab ein Schwangerschaftstest durchgeführt werden.
Wenn der akute Schub nur sehr gering ausgeprägt ist und das Leben nicht einschränkt, kann sich der oder die Betroffene auch gegen eine Kortison-Stoßtherapie entscheiden. Schübe bilden sich häufig auch ohne Medikamente vollständig oder teilweise zurück („spontane Remission“).
Nebenwirkungen der Schubtherapie
Grundsätzlich wird eine Kortison-Stoßtherapie gut vertragen. Aber alles, was wirkt, hat auch Nebenwirkungen. So steigt etwa das Thromboserisiko an – um es zu senken, sollte man möglichst viel trinken und sich – wenn möglich – bewegen. Eine medikamentöse Thromboseprophylaxe ist in der Regel nicht notwendig, außer man ist nicht mobil.
Die Haut wird etwas lichtempfindlicher, daher sollte man sie nicht zu lange der Sonne aussetzen. Es können auch Schlaflosigkeit, Magenbeschwerden, Blutzuckererhöhung, Stimmungsschwankungen, ein metallischer Geschmack im Mund und ein erhöhtes Infektionsrisiko auftreten. Kortison-Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, Abnahme der Knochendichte und Hautveränderungen treten nur im Rahmen einer Langzeittherapie auf.
Die Plasmaaustauschverfahren sind dagegen sehr viel aufwändiger und stark invasiv. Im Rahmen der Plasmapherese kann es in seltenen Fällen zu Kreislaufreaktionen kommen; andere haben durch die dem Blut zugesetzten gerinnungshemmenden Stoffe Nebenwirkungen (etwa Thrombose, Blutungsrisiko). Daneben existiert eine Infektionsgefahr beim Übertragen des Plasmas, mögliche Infektionen des Katheterzugangs oder Läsionen beim Legen des Zugangs. Die Immunadsorption gilt hier als nebenwirkungsärmere Methode, da nur die Immunglobuline aus dem Körper herausgefiltert werden, aufgrund des geringen Eiweißverlustes keine zusätzliche Gabe erfolgen und auch keine Vene punktiert werden muss.
Gegenanzeigen
Nicht immer kann eine hochdosierte Kortison-Therapie durchgeführt werden; etwa aufgrund von allergischen Reaktionen, dem Auftreten schwerer Erkrankungen wie einer Lungenembolie oder dem Vorliegen einer schweren Infektion ist sie ausdrücklich kontraindiziert. Bei bestimmten Vorerkrankungen wie Diabetes oder bei Magengeschwüren, einer vorliegenden Schwangerschaft oder einfachen Infekten sollte sie möglichst nicht, kann sie aber angewandt werden. Dazu muss aber immer eine Nutzen-Schaden-Abwägung vorgenommen werden.
Quellen
- amsel, 2021. Plasmapherese, abrufbar im Internet unter www.amsel.de/multiple-sklerose/behandeln/therapie-eines-multiple-sklerose-schubs/plasmapherese.
- Marianne-Strauss-Klinik 2024. Schubtherapie, Immuntherapie, symptomatische Therapie – die Behandlungsmethoden im Überblick, Schübe eindämmen, Lebensqualität steigern – diese Therapien helfen bei MS, abrufbar im Internet unter www.ms-klinik.de/de/leistungsspektrum/therapie/behandlungsmethoden.html.
- Vetter, C. 2015. Akuter Schub der Multiplen Sklerose: Orale Steroidgabe vergleichbar effektiv und sicher wie intravenöse, abrufbar im Internet unter www.aerzteblatt.de/archiv/173390/Akuter-Schub-der-Multiplen-Sklerose-Orale-Steroidgabe-vergleichbar-effektiv-und-sicher-wie-intravenoese.