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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Außergewöhnliche Belastungen in der Steuererklärung

Christian Müller, Blickpunkt-Ausgabe 03/2021

Eine schwere Erkrankung bringt neben dem persönlichen Leid oft auch erhebliche Kosten für Medikamente, Behandlungen, Pflege und Hilfsmittel mit sich. Manchmal müssen sogar Umbaumaßnahmen vorgenommen werden, um das häusliche Umfeld den persönlichen Gegebenheiten anzupassen. Erfreulich, wenn dann wenigstens die dafür entstandenen Kosten in der Steuererklärung steuermindernd geltend gemacht werden können. Man spricht hier von außergewöhnlichen Belastungen. Um allerdings an den begehrten Steuerabzug zu kommen, gilt es einige Hürden zu überwinden, die Gesetzgeber und Finanzämter aufstellen.

Was sind außergewöhnliche Belastungen?

Was unter außergewöhnlichen Belastungen zu verstehen ist, wird in § 33 EStG ganz allgemein geregelt. Sie liegen vor, wenn ein Steuerpflichtiger zwangsläufig höhere Aufwendungen zu tragen hat als die meisten anderen Personen mit vergleichbaren Einkommens- und Vermögensverhältnissen und gleichem Familienstand. Zwangsläufig bedeutet dabei, dass man sich diesen Aufwendungen nicht entziehen kann und ihre Höhe angemessen ist.
Ob höhere Aufwendungen als bei vergleichbaren Personen vorliegen, wird mit einer pauschalen Berechnung der zumutbaren Eigenbelastung ermittelt. Steuermindernd kann nur der Betrag abgezogen werden, der die zumutbare Eigenbelastung übersteigt.

Der zumutbare Betrag in Prozent der Gesamteinkünfte beträgt

bei einem Gesamtbetrag
der Einkünfte
bis 15.340 €über 15.340 €
bis 51.130 €
über 51.130 €
1. bei Steuerzahlern
ohne Kinder
     
a) Grundtarif 5% 6% 7%
b) Splittingtarif 4% 5% 6%
2. bei Steuerzahlern
mit Kindern
     
a) einem Kind oder zwei Kindern  2%  3% 4%
b) drei oder mehr Kindern 1% 1% 2%

Wie die Berechnung zu erfolgen hat, wird anhand eines Beispiels am besten deutlich: Ein lediger Steuerpflichtiger ohne Kinder hat einen Gesamtbetrag der Einkünfte von 55.000 €. Bisher musste er davon 7 % (= 3.850 €) als zumutbare Eigenbelastung selbst tragen. Nur die übersteigenden Aufwendungen haben seine Steuer gemindert. Seit einer neuen Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) führt die Berechnung jetzt zwar oftmals zu günstigeren Ergebnissen, sie hat sich aber auch erheblich verkompliziert. Nun muss jede der oben aufgeführten Einkunftsstufen separat betrachtet werden. Im Beispiel ergibt sich dadurch folgende Berechnung:

5 % von 15.340 € 767,00 €
6 % von 35.790 € (51.130 € minus 15.340 €) 2.147,40 €
7 % von 3.870 € (55.000 € minus 51.130 €) 270,90 €
Summe (= zumutbare Eigenbelastung) 3.185,30 €

Wem die Rechnerei zu kompliziert ist, findet auf der Seite des Bayerischen Landesamt für Steuern ein Berechnungstool, das einem die Arbeit abnimmt: www.finanzamt.bayern.de/Informationen/Steuerinfos/Steuerberechnung/Zumutbare_Belastung/default.php.

Zu erwähnen ist, dass derzeit beim BFH ein Verfahren anhängig ist, in dem geklärt werden soll, ob es überhaupt rechtens ist, eine zumutbare Belastung von den Aufwendungen abzuziehen. Daher setzen die Finanzämter die Steuern in diesem Punkt derzeit vorläufig fest. Sollte das Verfahren ein positives Ende nehmen, könnten Betroffene noch Geld vom Finanzamt nachfordern.
Das Wort „Belastung“ verrät es eigentlich schon: Es muss eine tatsächliche Belastung vorliegen. Erstattungen und Zuschüsse von Kranken- oder Pflegekassen, Versicherungen usw. müssen gegengerechnet werden. Nur die verbleibenden selbst getragenen Kosten können in der Steuererklärung angesetzt werden.

Nachweisproblematik

Größter Streitpunkt mit dem Finanzamt stellt regelmäßig der Nachweis der Notwendigkeit der Aufwendungen dar. Gemäß Einkommensteuer-Durchführungsverordnung hat der Steuerpflichtige den Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall zu erbringen. Dies hat zu erfolgen durch

  • eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel;
  • ein amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung u. a. für
    • Bade- und Heilkuren; bei einer Vorsorgekur ist auch die Gefahr einer durch die Kur abzuwendenden Krankheit, bei einer Klimakur der medizinisch angezeigte Kurort und die voraussichtliche Kurdauer zu bescheinigen,
    • psychotherapeutische Behandlungen,
    • die Notwendigkeit der Betreuung durch eine Begleitperson, sofern sich diese nicht bereits aus dem Nachweis der Behinderung ergibt,
    • medizinische Hilfsmittel, die als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens im Sinne von § 33 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch anzusehen sind,
    • wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden, wie z. B. Delfin- oder Bioresonanztherapie.

In der Praxis stellt man oft fest, dass die Finanzämter bei fehlenden Nachweisen nicht kleinlich sind, insbesondere wenn die Beträge eher gering sind. Auch wenn die Schwere der Krankheit klar erkennbar ist, werden oftmals keine übertriebenen Anforderungen an die Nachweise gestellt. Spekulieren sollte man darauf jedoch nicht, denn wenn der Finanzbeamte auf die Vorlage der vorgeschriebenen Nachweise pocht, ist die Rechtslage klar auf seiner Seite.

Spezialfall Baumaßnahmen

Die körperlichen Einschränkungen machen oftmals auch bauliche Maßnahmen notwendig, um die Wohnung bedarfsgerecht umzugestalten. Gerade hierbei können enorme Kosten entstehen. Die Aufwendungen für einen behindertengerechten Umbau sind allerdings nur dann abzugsfähig, wenn die Umbauten ausschließlich der behinderten Person nützen und somit nicht den allgemeinen Wohnwert des Gebäudes steigern. Daher sind bspw. die Aufwendungen für den nachträglichen Einbau eines Personenaufzugs in das Gebäude regelmäßig nicht abzugsfähig, wenn der Aufzug auch von anderen Personen genutzt werden kann. Ein Treppenlift hingegen kann steuerlich abgesetzt werden, wenn die Notwendigkeit durch Amtsarzt oder medizinischen Dienst bestätigt wird.

Weitere Beispiele für akzeptierte Aufwendungen sind:

  • Türverbreiterungen;
  • Umbau in ein behindertengerechtes Bad;
  • Umbau in eine behindertengerechte Küche;
  • Anbringen von Haltegriffen in Räumen;
  • Einbau niedriger Lichtschalter und Fenstergriffe;
  • Umbau barrierefreier Hauszugang;
  • Verbreiterung der Garage.

 Abgelehnt wurde von der Rechtsprechung hingegen der Abzug von Kosten für den behindertengerechten Umbau eines Gartens und einer Motorjacht. Hier sahen die Gerichte keine Zwangsläufigkeit.

Die Aufwendungen müssen im Jahr ihrer Zahlung steuerlich geltend gemacht werden. Gerade bei größeren Umbaumaßnahmen kann das dazu führen, dass sich die Aufwendungen nicht mehr voll auswirken, weil die Steuer schon auf 0 gesunken ist. Ein Vor- bzw. Rücktrag in andere Jahre oder eine Verteilung auf mehrere Jahre wäre dann wünschenswert, ist aber leider meist nicht möglich. In solchen Fällen kann es sinnvoll sein, Maßnahmen nach Möglichkeit zeitlich gestreckt durchzuführen, sodass die Ausgaben in verschiedenen Jahren anfallen.

Heimunterbringung

Mit fortschreitender Krankheit kann es sein, dass eine Heimunterbringung für den Erkrankten unausweichlich wird. Die dafür anfallenden Kosten werden in vielen Fällen durch die Zahlungen der Pflegekasse nicht gedeckt. Auch diese Mehrkosten können als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden, wenn die Heimunterbringung krankheitsbedingt ist. Wird im Zuge der Heimunterbringung der Hausstand des Erkrankten aufgelöst, müssen die Heimunterbringungskosten allerdings um eine Haushaltsersparnis gekürzt werden. Es wird unterstellt, dass durch den Wegfall der eigenen Wohnung auch die damit verbundenen Kosten wegfallen. Diese Ersparnis kann individuell ermittelt werden. Aus Vereinfachungsgründen kann der Wert aber auch pauschal veranschlagt werden. Dabei orientiert man sich an dem in einem anderen Zusammenhang im Einkommensteuergesetz genannten Höchstbetrag für Unterhaltsleistungen. Dieser beträgt für das Jahr 2021 9.744 €.

Zur Vermeidung einer Heimunterbringung werden oft auch Pflegekräfte oder Haushaltshilfen beschäftigt oder über eine Agentur beauftragt. Auch für diese Kosten kann ein Steuerabzug möglich sein. Eine ausführliche Erläuterung der damit verbundenen Regularien würde allerdings den Rahmen dieser Abhandlung sprengen.

Pauschale Steuerminderungen

Für Betroffene

Neben den beschriebenen nachzuweisenden außergewöhnlichen Belastungen eröffnet das Einkommenssteuergesetz auch die Möglichkeit pauschaler Steuerminderungen. Hier ist zunächst der Behindertenpauschbetrag zu erwähnen. Menschen, für die ein Grad der Behinderung (GdB) festgestellt wurde, dürfen anstatt des Einzelnachweises auch Pauschalbeträge geltend machen. Diese Pauschalen wurden zum 1.1.2021 verdoppelt und betragen jetzt:

Grad der Behinderung
in %
Pauschbetrag
in €
20 384
30 620
40 860
50 1140
60 1440
70 1780
80 2120
90 2460
100 2840

Für hilflose, blinde und taubblinde Menschen beträgt der Pauschbetrag 7.400 €.

Auch für Fahrtkosten können behinderte Personen Pauschalen geltend machen. Der Pauschbetrag zur Abgeltung von durch die Behinderung veranlasste Aufwendungen für unvermeidbare Fahrten beträgt

  • 900 € bei Menschen mit einem GdB von mindestens 80 oder einem GdB von mindestens 70 und dem Merkzeichen »G«
  • 4.500 € für Menschen mit einer außergewöhnlichen Gehbehinderung (Merkzeichen »aG«), Blinde (Merkzeichen »Bl«), Menschen mit dem Merkzeichen »TBl« und hilflose Menschen (Merkzeichen »H«).

Für Angehörige

Wer einen Angehörigen oder eine sonst nahestehende Person, zu deren Pflege er sittlich verpflichtet ist, betreut, hat ebenfalls Anspruch auf den Abzug eines Pflege-Pauschbetrags, wenn er die Pflege persönlich entweder in seiner eigenen Wohnung oder in der des zu Pflegenden durchführt und dafür keine Gegenleistung (z. B. Pflegegeld) erhält. Die Unterstützung durch ambulante Pflegekräfte ist dabei unschädlich. Folgende jährlichen Pflege-Pauschbeträge werden gewährt

  • bei Pflegegrad 2: 600 €
  • bei Pflegegrad 3: 1.100 €
  • bei Pflegegrad 4 oder 5 oder wenn die gepflegte Person hilflos ist: 1.800 €.

Fazit

Zusammenfassend ist vor allem wichtig festzuhalten, dass es sich bei den außergewöhnlichen Belastungen um keinen klar definierten Begriff handelt. Was als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen ist, unterliegt immer einer individuellen Betrachtung und kann von Fall zu Fall zu anders zu bewerten sein. Deshalb ist für die erfolgreiche Anerkennung der Aufwendungen in der Steuererklärung eine überzeugende Argumentation das A und O. Wer seiner Steuererklärung einfach eine unkommentierte Auflistung von Rechnungen beifügt, läuft erhöhte Gefahr, beim Finanzamt auf Ablehnung zu stoßen. Eine ausführliche Erläuterung der persönlichen Situation und der Notwendigkeit der getätigten Aufwendungen kann dagegen Verständnis beim Finanzbeamten erzeugen und erhöht die Erfolgsaussichten deutlich. Aber auch dann kann es zu einem negativen Bescheid kommen.
Das muss nicht kampflos hingenommen werden. Mit einem Einspruch gegen den ablehnenden Bescheid können weitere Argumente und Nachweise vorgelegt werden. Das kann durchaus zu einem Umdenken der Behörde führen. Zumindest aber wird das Finanzamt gezwungen, seine Ablehnung ausführlich zu begründen. Und das eröffnet dann auch die Möglichkeit, den Klageweg zu den Finanzgerichten zu beschreiten. Nicht selten haben die Gerichte übereifrige Beamte, vor allem wenn es um überzogene Nachweisforderungen ging, in ihre Schranken verwiesen.