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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Multipler Sklerose

Anja Bollmann, Blickpunkt-Ausgabe 02/2025
Möglicherweise ist Ihnen der Begriff „Eingliederungshilfe“ bereits bekannt und Sie haben eine Vorstellung davon. Andernfalls lesen Sie ihn vielleicht heute zum ersten Mal und fragen sich, was er bedeutet und welche Relevanz er für Ihre Erkrankung hat. In jedem Fall lohnt es sich, das Recht der Eingliederungshilfe im Rahmen dieses Artikels kurz zu beleuchten.

Bedeutung und Ziele der Eingliederungshilfe

Im Leben mit Multipler Sklerose können sich die Bedürfnisse im Laufe der Zeit wandeln. Während anfänglich Unterstützung bei der Pflege ausreichend sein mag, können Phasen folgen, in denen umfassendere Hilfen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben notwendig werden. Hier setzt die Eingliederungshilfe an. Sie soll Menschen mit Behinderung und von Behinderung bedrohte Menschen dabei unterstützen, ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen, gleichberechtigt am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen und ihre Lebensqualität zu verbessern. Im Zusammenhang mit der Eingliederungshilfe spricht man von Teilhabeleistungen, da es um die Teilhabe am Leben geht.

Diese Leistungen sind in verschiedenen Einzelgesetzen verankert. Übergreifende gemeinsame Vorschriften finden sich in Teil 1 des SGB IX, dem Neunten Sozialgesetzbuch, das bereichsübergreifende Regelungen zur Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung enthält.

Bereiche der Eingliederungshilfe

Die Eingliederungshilfe umfasst Leistungen in unterschiedlichen Bereichen. Das Gesetz unterscheidet dabei vier Gruppen:

  • Leistungen zur medizinischen Rehabilitation;
  • Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben;
  • Leistungen zur Teilhabe an Bildung;
  • Leistungen zur sozialen Teilhabe.

Das Bundesteilhabegesetz und seine Auswirkungen

In den letzten Jahren gab es wichtige Weiterentwicklungen in der Eingliederungshilfe, insbesondere durch das Bundesteilhabegesetz. Ziel dieser Entwicklung war die Stärkung der Rechte und der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen. Im Mittelpunkt steht dabei der Mensch mit seinen individuellen Bedürfnissen und Wünschen, an denen die jeweiligen Leistungen auszurichten sind.

Praktische Auswirkungen der Weiterentwicklung

Mit dem Fortschreiten der Erkrankung und zunehmenden Einschränkungen oder dem Hinzutreten anderer Erkrankungen, wie ausgeprägter Fatigue oder kognitiver Beeinträchtigungen neben körperlichen Einschränkungen, kann die Teilhabe am Alltag zunehmend erschwert sein. In solchen Fällen können beispielsweise folgende Leistungen relevant werden:

Ambulant unterstütztes Wohnen

Das ambulant unterstützte Wohnen ist eine Leistung der Eingliederungshilfe in Form einer Assistenzleistung. Es kommt für Menschen in Frage, die nicht mehr selbstständig in ihrer eigenen Wohnung leben können oder möchten, aber keine vollstationäre Betreuung benötigen. Diese Wohnform bietet individuelle, bedarfsgerechte Unterstützung in der eigenen Wohnung durch Assistenzkräfte. Die benötigte Unterstützung kann sich beispielsweise beziehen auf die:

  • Organisation des Alltags;
  • Haushaltsführung;
  • persönlichen Angelegenheiten (Begleitung bei Behördengängen, Unterstützung in finanziellen Angelegenheiten);
  • gesundheitlichen Belange (Erinnerung an Medikamenteneinnahme, Begleitung zu Arztterminen);
  • soziale Teilhabe (Begleitung zu Freizeitaktivitäten, Unterstützung bei der Kontaktpflege).

Die pflegerische Versorgung ist dabei nicht inbegriffen. Sie fällt unter die Leistungen der gesetzlichen oder privaten Pflegepflichtversicherung.

Vielfältige Assistenzleistungen

Assistenzleistungen sind sehr vielfältig und richten sich nach dem persönlichen Bedarf. Beispiele hierfür sind:

  • Persönliche Assistenz: Unterstützung bei alltäglichen Verrichtungen wie Anziehen, Waschen, Essen, Begleitung außer Haus, Kommunikation und Freizeitgestaltung (pflegerische Leistungen im Sinne der Pflegeversicherung).
  • Arbeitsassistenz: Benötigte Unterstützung am Arbeitsplatz zur Ausübung der beruflichen Tätigkeit.
  • Mobilitätsassistenz: Hilfe bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder beim Autofahren.

Teilhabe an Bildung

Die Teilhabe an Bildung ist eine weitere wichtige Leistung der Eingliederungshilfe. Sie umfasst den gesamten Bildungsweg und beinhaltet:

  • Hilfen zur Schulbildung;
  • Hilfen zur schulischen Berufsbildung;
  • Hilfen zur Hochschulbildung;
  • Hilfen zur schulischen und hochschulischen beruflichen Weiterbildung.

Diese Leistungen ermöglichen es vor allem, den Lernort zu erreichen oder unterstützen bei der Vermittlung von Bildungsinhalten.

Das Persönliche Budget

Das Persönliche Budget ist keine eigene Leistungsart der Eingliederungshilfe, sondern eine Form der Leistungsgewährung. Es ermöglicht Menschen mit Behinderung, selbst zu entscheiden, wie sie ihre Teilhabeleistungen gestalten und in Anspruch nehmen wollen. Anstelle von Sachleistungen, die sonst direkt vom Leistungserbringer erbracht würden, erhalten sie eine Geldleistung (in Ausnahmefällen auch Gutscheine). Das Persönliche Budget ist eine Alternative zu den üblichen Dienst- oder Sachleistungen, bei denen das Geld direkt an den Leistungserbringer gezahlt wird. Es ermöglicht, mehr Einfluss auf die Art der Leistungserbringung zu nehmen. Sämtliche Teilhabeleistungen können als Persönliches Budget in Anspruch genommen werden. Bei mehreren budgetfähigen Leistungen spricht man von einem trägerübergreifenden Persönlichen Budget.

Antragstellung und Zuständigkeit

Es ist wichtig zu wissen, dass Leistungen der Eingliederungshilfe nur auf Antrag gewährt werden. Zuständig ist der Träger der Eingliederungshilfe. In Nordrhein-Westfalen sind dies der Landschaftsverband Rheinland und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Die Zuständigkeit variiert je nach Bundesland. Auskunft über den zuständigen Träger erteilen das örtliche Sozialamt der Kommune oder sozialrechtlich tätige Beratungsstellen. Wer erwägt, Eingliederungshilfe zu beantragen, sollte sich zunächst umfassend beraten lassen, um seinen individuellen Bedarf zu ermitteln, mit dem an die zuständige Stelle mittels Antragsstellung herangetreten wird, und um eine mögliche eigene Kostenbeteiligung zu klären.

Finanzielle Aspekte der Eingliederungshilfe

Nicht alle Leistungen der Eingliederungshilfe sind kostenfrei. Durch die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe wurde die finanzielle Belastung für Betroffene im Vergleich zu früher wesentlich reduziert. Leistungen der Eingliederungshilfe sind immer dann kostenfrei, wenn der Mensch mit Behinderung beispielsweise Hilfe zum Lebensunterhalt oder Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bezieht. Das Partnervermögen wird nicht mehr berücksichtigt. Der Vermögensfreibetrag, bis zu dem das eigene Vermögen nicht eingesetzt werden muss, wurde deutlich auf 67.410 € im Jahr 2025 erhöht. Auch beim einzusetzenden Einkommen gibt es Freibeträge, deren Höhe von der jeweiligen Einkommensart abhängt (Einkommen aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und Selbstständigkeit, aus nicht sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, aus Rente, andere Einkommensarten).

Fazit für Menschen mit Multipler Sklerose

Für Menschen mit Multipler Sklerose bedeutet die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe mehr Selbstbestimmung, individuellere Unterstützung und geringere finanzielle Hürden. Sie bedeutet auch mehr Eigenverantwortung und Koordination, da der individuelle Bedarf ermittelt, die zuständige Stelle gefunden, die finanzielle Beteiligung geklärt und der Antrag gestellt werden muss.