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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Mit Unterstützung in den eigenen vier Wänden bleiben

Anja Bollmann, Blickpunkt-Ausgabe 03/2023
Die eigenen vier Wände, da sind wir zu Hause, da fühlen wir uns wohl und wollen auch bleiben – solange es geht. Doch was ist, wenn fortschreitendes Alter, eine Krankheit und/oder Behinderung die Bewältigung des Alltags im eigenen Zuhause immer schwerer machen? Sich einzugestehen, dass Unterstützungsbedarf besteht, ist nicht leicht. Die Konsequenz muss nicht zwangsläufig ein Umzug in ein Pflegeheim sein. Eventuell reichen schon technischen Hilfsmittel aus, um den Alltag etwas leichter zu machen. Vielleicht wird aber auch Hilfe von anderen Personen benötigt. Geht es um Pflege oder Betreuung oder Pflege und Betreuung? Die Frage, was im Einzelfall konkret erforderlich ist, muss beantwortet werden. Erst dann geht es darum, wie die Unterstützung im Alltag dauerhaft installiert werden kann.

Was ist der Unterscheidung zwischen Pflege und Betreuung?

Die Begriffe „Pflege“ und „Betreuung“ werden häufig synonym verwendet, meinen aber nicht dasselbe: Ist Hilfe erforderlich, bspw. beim An- und Ausziehen, bei der Körperpflege, beim Duschen oder Baden, beim Aufstehen aus dem Bett oder vom Stuhl, beim Hinlegen/Hinsetzen oder beim Essen und Trinken, Verbandswechsel oder der Medikamentengabe, geht es um Pflege. Pflegerische oder medizinische Leistungen dürfen nur Pflegekräfte erbringen. Das sind ausgebildete Kranken- oder Altenpfleger*innen und Mitarbeitende anderer Berufsbilder im Gesundheitswesen, deren Hauptfokus die Pflege ist.
Geht es dagegen um Hilfe im Alltag, d. h. bei der Bewältigung alltäglicher Dinge wie dem Wäschewaschen, Bügeln, Putzen/Spülen, Einkaufen, der Begleitung zum Arzt, bei Ausflügen, dem Spazierengehen etc., ist das keine Pflege, sondern Betreuung. Eine Betreuungskraft hat eine andere Qualifikation und Aufgabe als eine Pflegekraft. Ihre Aufgabe ist die Unterstützung betreuungsbedürftiger Personen bei der Verrichtung alltäglicher Tätigkeiten.

Was ist häusliche Pflegehilfe?

Darunter sind alle Leistungen der pflegerischen und hauswirtschaftlichen Versorgung zu verstehen, die pflegebedürftige Menschen im eigenen Zuhause erhalten, also körperbezogene Pflegemaßnahmen wie Körperpflege und Hilfe bei der Ernährung. Darunter fallen auch pflegerische Betreuungsmaßnahmen, häusliche Krankenpflege wie Medikamentengabe, Verbandswechsel ebenso wie Hilfe beim Haushalt, bspw. beim Kochen oder Reinigen der Wohnung. Wer in einem Heim lebt, erhält diese Leistungen nicht, da dort eine vollstationäre Versorgung erfolgt. Häusliche Pflegehilfe wird zuhause erbracht und umfasst sowohl Pflege- als auch Betreuungsleistungen.

Wer bekommt häusliche Pflegehilfe?

Nach den Vorgaben der gesetzlichen und privaten Pflegeversicherung erhält nur derjenige Leistungen, der pflegebedürftig ist. Pflegebedürftigkeit muss festgestellt sein. Das erfolgt auf Antrag, der mündlich oder schriftlich, per E-Mail, Briefpost oder persönlich bei der Pflegekasse gestellt werden kann. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung erstellt ein Gutachten zum Pflegeumfang und zur Bestimmung des Pflegegrades. An die Feststellung des Pflegegrades ist auch das Sozialamt gebunden.

Wer trägt die Kosten für die Betreuung durch eine Pflegekraft?

Die Kosten trägt die gesetzliche oder private Pflegeversicherung, wenn Pflegebedürftigkeit mindestens nach Pflegegrad 2 besteht. Geregelt ist das in den §§ 36–40b SGB XI (Soziale Pflegeversicherung). Private Pflegeversicherungsverträge enthalten gleichlautende Bestimmungen. Die Leistungen der Pflegeversicherung sind einkommens- und vermögensunabhängig.
Wenn die Pflegeversicherung nicht zahlt oder der Pflegebedarf sehr hoch ist, kommt auch bzw. zusätzlich Hilfe zur Pflege in Betracht. Das ist eine Leistung der Sozialhilfe, geregelt in §§ 61–66a SGB XII (Sozialhilfe). Sie greift dann, wenn eine pflegebedürftige Person oder ihre Angehörigen nicht in der Lage sind, die Kosten für die notwendige Pflege selbst zu tragen. Die Leistungen sind einkommensabhängig, und es gibt einen Vermögensfreibetrag (§ 66a SGB XII). Voraussetzung ist auch hier eine festgestellte Pflegebedürftigkeit von mindestens Pflegegrad 2.

Was, wenn Unterstützungsbedarf, aber kein Pflegegrad besteht?

In dem Fall könnte ein Anspruch gegen das Sozialamt auf

  • Hilfe zur Weiterführung des Haushalts nach § 70 SGB XII,
  • Hilfe in sonstigen Lebenslagen § 73 SGB XII oder
  • einen erhöhten Regelbedarf nach § 27a Abs. 4 Nr. 2 SGB XII
    bestehen.

Um die Weiterführung des Haushaltes zu sichern, sollen Personen mit eigenem Haushalt nach § 70 SGB XII Leistungen erhalten, wenn weder sie selbst noch, falls sie mit anderen Haushaltsangehörigen zusammenleben, die anderen Haushaltsangehörigen den Haushalt führen können und die Weiterführung des Haushaltes geboten ist. Die Leistungen umfassen die persönliche Betreuung von Haushaltsangehörigen sowie die sonstige zur Weiterführung des Haushalts erforderliche Tätigkeit.
Zur Hilfe in sonstigen Lebenslagen können Leistungen nach § 73 SGB XII erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Ein erhöhter Regelbedarf nach § 27a Abs. 4 Nr. 2 SGB XII kommt nur dann in Betracht, wenn der Bedarf in mehr als geringem Umfang (erheblich) oberhalb durchschnittlicher Bedarfe liegt.

Pflegedienst als Hilfe zur Weiterführung des Haushalts bei Pflegegrad 0?

Die Inanspruchnahme eines professionellen Pflegedienstes ist in einem solchen Fall nicht angemessen. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) am 23.2.2023 – B 8 SO 422 R entschieden. Ohne dass ein Pflegegrad bestand (Pflegegrad 0), hatte eine Hilfesuchende für Hilfe bei einfachen hauswirtschaftlichen Tätigkeiten einen Pflegedienst beauftragt. Mangels Pflegestufe konnte keine Abrechnung über die Pflegeversicherung erfolgen. Die Hilfesuchende wollte die Kosten als Hilfe zur Pflege vom Sozialamt erstattet erhalten. Das hat das BSG abgelehnt. Hilfebedarf bei einfachen hauswirtschaftlichen Verrichtungen, wie z. B. Hilfe bei dem wöchentlichen Einkauf, aufwändigen Aufräum- und Reinigungsarbeiten sowie kleine Hilfestellungen im Haushalt können durch eine ungelernte Haushaltshilfe zu ortsüblichen Konditionen (Mindestlohn) erbracht werden. Die Hilfesuchende könne sich eine Haushaltshilfe kostengünstiger über eine Minijobzentrale organisieren. § 70 SGB XII, wonach Hilfen zur Weiterführung des Haushaltes gewährt werden, lege nicht fest, dass die Leistung von einem Pflegedienst erbracht werden soll. Die Kosten dafür sind aus eigenem Einkommen zu bezahlen. Reicht das eigene Einkommen nicht aus, können die Kosten der über die Minijobzentrale organisierten Haushaltshilfe beim Sozialamt abgerechnet werden.

In welcher Höhe werden die Kosten übernommen?

Pflegeversicherung

Auch wenn die Leistungen einkommens- und vermögensunabhängig erbracht werden, sind die Kosten, die die Pflegeversicherung übernimmt, der Höhe nach begrenzt. Sie werden nur bis zu einem gesetzlich festgelegten Betrag übernommen (§§ 36,37 SGB XI). Die Höhe des Betrages ist abhängig vom Pflegegrad und der gewählten Leistung, d. h. ob Pflegegeld (§ 37) oder Pflegesachleistungen (§ 36) in Anspruch genommen wird. Pflegegeld und Pflegesachleistungen sind beides Leistungen der häuslichen Pflege. Bei Pflegesachleistungen wird die häusliche Pflege durch einen ambulanten Pflegedienst erbracht. Pflegegeld wählt, wer sich stattdessen für die Unterstützung durch Angehörige, Freunde oder ehrenamtlich Tätige entscheidet.

Von Pflegegrad 2 bis Pflegegrad 5 wird Pflegegeld gezahlt. Mit der Pflegereform wird es zum 1.1.2024 um 5 % erhöht.

Pflegegradbis 31.12.2023ab 1.1.2024
2 316 € 332 €
3 545 € 572 €
4 728 € 764 €
5 901 € 946 €

Die Pflegesachleistungen werden ebenfalls von Pflegegrad 2 bis 5 geleistet und auch zum 1.1.2024 erhöht.

Pflegegradbis 31.12.2023ab 1.1.2024
2 316 € 332 €
3 545 € 572 €
4 728 € 764 €
5 901 € 946 €

Was zahlt das Sozialamt?

Das Sozialamt übernimmt alle Leistungen, die in der gesetzlichen Pflegeversicherung vorgesehen sind, zahlt also wie die Pflegeversicherung. Die Leistungen sind einkommens- und vermögensabhängig.

Wer trägt die Kosten für eine Betreuungskraft?

Ob Pflege oder Betreuung, beide Leistungen werden aus der gesetzlichen Pflegeversicherung (SGB XI) und/oder der Sozialhilfe als Hilfe zur Pflege (SGB XII) finanziert. Pflegerische Betreuungsmaßnahmen und Hilfen bei der Haushaltsführung sind neben körperbezogenen Pflegemaßnahmen Bestandteil der Pflegesachleistung, die durch einen Pflegedienst erbracht werden können. Zusätzlich kann das Budget der Verhinderungs- und anteiligen Kurzzeitpflege (gesamt 2418 €, Stand 2023) für die Finanzierung von Betreuungsleistungen eingesetzt werden. Ebenso ist eine Abrechnung über den Entlastungsbetrag nach § 45a SGB XI im Wege der Erstattung möglich. Der Betrag ist zweckgebunden einzusetzen für nach Landesrecht anerkannte Angebote zur Unterstützung im Alltag. Der Betrag kann auch für Leistungen eines anerkannten Pflegedienstes eingesetzt werden

Kann eine private Pflege- oder Betreuungskraft eingestellt werden?

Wer Unterstützung benötigt, kann sich für einen Pflegedienst entscheiden, kann aber auch das Pflegegeld wählen und selbst eine Pflege- und/oder Betreuungskraft anstellen. Der Unterstützungsbedürftige wird dann zum Arbeitgeber und muss allen damit verbundenen Rechten und Pflichten entsprechen. Das ist das sogenannte „klassische“ Arbeitgebermodell. Der Unterstützungsbedürftige beschafft sich die für seine Unterstützung erforderlichen Pflege-/Betreuungspersonen und organisiert seine Unterstützung selbstständig.

Weitere Gestaltungsmöglichkeiten – Pflege- und Betreuungsmodelle

Besteht ein hoher Unterstützungsbedarf sowohl im Bereich der Pflege als auch der Betreuung, ist er meist auch ganztägig, d. h. über 24 Stunden. Im Bereich der 24-Stunden-Betreuung gibt es auf dem Markt neben dem Arbeitgebermodell zahlreiche Angebote durch berufliche Betreuungs- und (seltener) Pflegekräfte, die im Haushalt des zu Pflegenden wohnen. Nicht aus familiärer Verbundenheit, sondern zum Erwerb des Lebensunterhaltes übernehmen sie Pflege- und Betreuungsaufgaben.

In rechtlicher Hinsicht wird die Frage der Rechtssicherheit dieser Modelle häufig kritisch aufgegriffen. Das im Einzelnen zu vertiefen, würde den Umfang dieses Artikels sprengen. Unter dem Titel „Rechtskonforme Betreuung in den eigenen vier Wänden“ wurde im Auftrag des Bundesministerium für Gesundheit im August 2019 dazu ein Gutachten durch Herrn Prof. Dr. Gregor Thüsing LL.M. (Harvard) erstellt. Bei Interesse ist es nachzulesen unter
www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Pflege/Berichte/Gutachten_Thuesing_Teil_1_-_Rechtskonforme_Betreuung_in_den_eigenen_vier_Waenden.pdf.