Skip to main content

Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Dem Glück auf der Spur: Glücklich sein trotz MS

Heike Führ, Blickpunkt-Ausgabe 04/2021

Geht es Ihnen auch so, dass Sie sich immer wieder einmal fragen, ob Sie glücklich sind? Glücklich, einfach so – und glücklich auch mit MS? Oder sogar: glücklich trotz MS? Glück hat viele Facetten, und das Glücklichsein kann man erlernen. Man kann lernen, den Fokus mehr auf das Positive im Leben zu richten, sich wertvolle Momente zu bewahren und sich diese in weniger guten Phasen als Motivation und Beruhigung aufzurufen.

Glück und Krankheit, wie passt das zusammen?

Für mich sind Schicksalsschläge und Glück vereinbar. Denn auch mitten in einem Schub können das aufmunternde Lächeln des Gegenübers, ein liebevolles Wort oder der Anblick einer schönen Blume Glücksmomente hervorrufen. Wenn wir es zulassen! Und wenn wir es „SEHEN“!

Ich kann mich noch an meinen ersten sehr schweren Schub (ein blindes und gelähmtes Auge) vor 27 Jahren erinnern. Nach dem Krankenhausaufenthalt musste ich zuhause noch viel ruhen und legte mich warm eingemummelt im März auf meine Terrasse. Im Beet nebenan sah ich Tulpen wachsen und beobachtete jeden Tag ihren Fortschritt. Irgendwie machte mich das glücklich, denn ich sah, dass das Leben weitergeht – und zwar unaufhörlich und wunderschön bunt! Das stärkte mich und ließ Glücksgefühle in mir aufkommen.

Zurückschauend weiß ich heute, dass dieses Erleben meine Einstellung zur MS und zum Leben an sich geprägt hat. Das Leben in seiner Vielfältigkeit zu erleben, hatte etwas von Geborgenheit. Es zeigte mir, dass sich die Welt immer weiterdreht und dass ich mich trotz der schweren Diagnose auf die Vielschichtigkeit des Lebens verlassen kann. Darauf, dass es weitergeht, sowie auch mein Leben mit neuen Symptomen weitergehen wird. Und dass es auch im MS-Leben bunt, vielfältig und froh weitergehen kann.

Was ist Glück?

  • Ist es Glück, jeden Morgen aufzuwachen?
  • Ist es Glück, Kinder und/oder Enkel zu haben und genießen zu dürfen?
  • Ist es Glück, gesund zu sein?
  • Ist es Glück, „nur“ MS zu haben und keinen schlimmen Krebs?
  • Ist Glück eine Tasse Kaffee am Morgen?
  • Ist Glück ein liebevoll entgegengebrachtes Lächeln?

Was ist für Sie Glück? Bewusst habe ich all die Fragen gestellt, denn nur so kann man sich selbst reflektieren und seine Form des Glücks finden. Ich habe ein ganzes Buch zum Thema „Glück“ geschrieben (Info im Anschluss), denn so vielfältig und vor allem interessant in Bezug auf ein Leben mit chronischen Krankheiten ist dieses Thema! Vor einem Jahr habe ich meinen Mann an einen unheilbaren Krebs verloren und ihn zuvor zwei harte Jahre lang begleitet – bis zu seinem Tod. Ich war im wahrsten Sinn des Wortes todunglücklich. Und doch habe ich mir in dieser schweren Zeit bewusst Glücksmomente verschafft. Bewusst!
Ich hatte herzerwärmende, kostbare, sehr glückliche Augenblicke mit meinen Enkeln, mit Freunden oder auch mit einem guten Buch und Musik. Ja, ich habe ganz bewusst diese „Zeit des Glücks“ für mich eingefordert und geschaffen. Ich habe gelernt, mich in diesen wundervollen Momenten zu verlieren, ganz stark im Hier und Jetzt zu leben – zu genießen. Und ich habe viel Kraft aus diesen besonderen Ereignissen geschöpft, die dann meinem Mann ebenfalls zugutekamen. Ich habe erfahren, dass ich trotz des drohenden Todes, trotz eigener Erkrankung, die sich in dieser schweren Zeit natürlich immer wieder bemerkbar machte, durchaus glückliche Augenblicke hatte, die mich weit getragen haben.

Glück ist trotz schwerer Schicksalsschläge möglich. Und dazu möchte ich Sie inspirieren. Leben Sie mehr im Hier und Jetzt, im Augenblick. Genießen Sie das Gute und Schöne in Ihrem Leben.

Gestatten Sie sich, glücklich zu sein – auch mitten im Drama

Glücklich zu sein heißt nicht, dass man etwas verdrängt, sondern es ist eine Form der Bewältigung schwerer Lebensphasen. Es ist ein Schritt vorwärts. Das Gehirn lernt dann allmählich, den Blick mehr auf das Positive im Leben zu richten, ohne dabei anderes aus den Augen zu verlieren. Es lernt, die positiven und wohltuenden Mini-Sequenzen zu erkennen und diese zu genießen. Nachhaltig, sodass sie immer guttun und wieder abrufbar sind. Manchmal funktioniert das nicht sofort, aber wenn Sie es wirklich wollen, dann lernt das Gehirn dankbar und schnell.

Dazu passt auch der Spruch: „Seien wir doch mal dankbar für alles, was wir haben!“ Das ist so viel wert, da wir dabei so ganz nebenbei dem Unschönen und Traurigen in unserem Leben weniger Beachtung schenken. Sie dürfen lernen, sich Ruhepausen und Oasen zu schaffen. Mitten im Alltag. Und auch mitten im Tun. Wenn Sie ein schönes Lied im Radio hören, halten Sie ruhig mal inne. Spüren Sie, erleben und genießen Sie... Danach lässt es sich fröhlicher weitermachen.

Wir lernen somit auch, mehr bei uns selbst anzukommen, da wir automatisch eher auf unsere Bedürfnisse achten. Achtsamkeit sich selbst gegenüber, gepaart mit guter Selbstfürsorge – das sind Wegweiser auf dem Weg zum Glück. Im Übrigen ist dieser Weg schon das Ziel, denn Sie werden viel über sich, Ihre Erwartungen und Freuden erfahren. Sie werden automatisch zufriedener, aufmerksamer und leben bewusster. Das ist der intensive Weg, und das Glück stellt sich dabei von selbst ein. Trauen Sie sich, werfen Sie manch überholtes nicht wohltuendes Ritual über Bord, leben Sie, genießen Sie, bleiben Sie dabei sich selbst treu – und wagen Sie Neues!

Vielleicht möchten Sie sich mal eine Liste erstellen:

  1. Was mag ich? Was ist mir wichtig? Was gibt es Tolles in meinem Leben?
  2. Was möchte ich ändern? Was mag ich nicht?

Allein beim Aufschreiben werden Sie spüren, wie viel Positives es in Ihrem Leben gibt – trotz der MS. Und Sie werden plötzlich auch all die (vermeintlich nebensächlichen) Kleinigkeiten entdecken, die das Potenzial zum großen Glücksempfinden haben!

Ich wünsche Ihnen, dass Sie die Lust verspüren, all das auszuprobieren. Dass Sie den Mut dazu haben und vielleicht sogar schon beim Lesen etwas glücklicher wurden!

Viel Glück!

Liebe Grüße
Heike Führ