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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Wenn die Nerven blank liegen: MS und Stress

Heike Führ, Blickpunkt-Ausgabe 03/2021

Wer kennt es nicht, das Gefühl, komplett unter Stress zu stehen? Viele MS-Betroffene berichten mir immer wieder, dass sie aufgrund von Stress vor allem auch ihre MS-Symptome deutlicher spüren oder gar einen Schub bekommen – und auch mir geht es so. Ich habe diesen Artikel bewusst emotional verfasst und auf „kluge Ratschläge“ verzichtet, denn: Wir alle wissen ja, dass wir Stressauslöser vermeiden sollen. Auch als völlig Gesunde! Nur erinnern müssen wir uns daran…

Was ist Stress?

Stress bezeichnet zum einen durch spezifische äußere Reize (sogenannte Stressoren) hervorgerufene psychische und physische Reaktionen bei Lebewesen, die zur Bewältigung besonderer Anforderungen befähigen und zum anderen die dadurch entstehende körperliche und geistige Belastung.

Die Wahrnehmung von Stress kann individuell sehr unterschiedlich sein. Das heißt, ob eine Situation bei jemandem Stress auslöst, hängt davon ab, wie die- oder derjenige diese beurteilt oder wie stressresistent die Person ist. Stress kann demnach sowohl als positiv (auch Eustress, der trotz Belastung nicht schadet und Gefühle von Erfolg und Anerkennung mit sich bringt) als auch als negativ (auch Distress, der schadet und etwa Selbstzweifel, Versagensängste oder Panik transportiert) empfunden werden. Im letzteren Fall ist Stress das Gefühl, einer (bedrohlichen) Situation gegenüberzustehen und so ausgeliefert zu sein, dass man glaubt, diese nicht (mehr) beeinflussen zu können.

MS und Stress

Viele Menschen mit MS beklagen eine Zunahme der MS-spezifischen Symptome, wenn sie sich gestresst fühlen. Es gibt keine eindeutigen Beweise dafür, dass Stress einen Schub oder Pseudo-Schub/das „Uhthoff-Phänomen“ (also die Verschlimmerung der Symptome bei Erhöhung der Körpertemperatur, die sich bei Stress unweigerlich erhöht) auslösen kann, die Wissenschaft kümmert sich aber nun deutlich mehr um dieses Thema, und ihre Erkenntnisse zeigen klar in diese Richtung. So wird angenommen, dass der Energieaufwand, den man betreiben muss, um dem momentanen Stress standzuhalten, uns so viel Kraft und Energie raubt, dass es MS-Symptome nun leichter haben, hervorzutreten. Daher sollten MS-Betroffene die gefährlichen Stressauslöser meiden und sehr sensibel auf Anzeichen von Stress in ihrem Körper achten.

Abgesehen davon kann ich und konnte bei mir (und meinen Followern) einfach schon immer feststellen, dass ich auf Stress – auch emotionalen Stress (etwa durch einen heftigen Streit) – mit MS-Symptomen reagiere.
Bei mir sind erste Anzeichen oft Sehstörungen oder Fatigue. Dicht gefolgt von tauben Gliedmaßen und Sensibilitätsstörungen bis hin zu schweren Beinen, sodass mir das Laufen kaum noch gelingen mag. Oder auch schmerzende Augen, Doppelbilder und Nebel vor den Augen, Schwindel, Schmerzattacken, Zittern und eine derart große Schwäche am/im ganzen Körper, dass es ein Wunder ist, dass ich mich überhaupt noch einigermaßen aufrecht halten kann.

Und DAS, sagt ein Unbeteiligter vielleicht, nur weil du Stress hattest? Ja! „Nur“ weil ich Stress hatte. Stress kann Gift für die MS sein – für meine MS ist sie es, denn meine Schübe und Ausfälle und somit auch bleibende Beeinträchtigungen kamen IMMER nach enormem Stress auf.

Wenn die Nerven blank liegen

MS und Nerven – eigentlich eine Farce, denn bei MS liegen die Nerven ja im wahrsten Sinn des Wortes wirklich BLANK! Blanke Nerven mögen keine zusätzliche Aufregung. Sie können dann nämlich gar nicht mehr reagieren. Eine Reizexplosion im Gehirn – kein Wunder, dass sowohl die Nerven als auch das Gehirn das nicht mehr richtig verarbeiten können und vor allem eins sind: überfordert, restlos überfordert!

Nerven, was waren das noch einmal für Dinger? Bei MS-Betroffenen jedenfalls sind das: Feuerwerk, Tsunami und Hölle! Denn teilweise sind unsere Nerven so zerstört, dass sie nicht mehr funktionieren. Und dann wundert es auch nicht, dass die MS nicht mehr weiß, wo „oben und unten“, wo innen und außen, hinten oder vorne ist. Die MS scheint im Strudel, von einem Wirbel gepackt und irrt völlig verstört umher! Hört sich das komisch oder gar übertrieben an? Aber genau so, wirklich so und noch schlimmer fühlt man sich mit MS, wenn die blanken Nerven noch blanker zu liegen scheinen.

Und wie erkläre ich das einem Außenstehenden? Dass meine Nerven gerade „am Ende“ sind? Das sind ja die Nerven vieler Menschen. Dass aber unsere Nerven schon vorab am Ende sind, bevor das Ereignis kommt, dass diese Form der Nervenbelastung für unsereins also ein regelrechter Tsunami darstellen kann – das kann man schwer erklärbar machen. Also schreibe ich es auf und hoffe darauf, dass man mir zuhört und dass ich für das Thema sensibilisieren kann.

Was kann man tun?

Solche Stressoren können ja einerseits aus unserer Umgebung kommen, aber auch in uns selbst liegen, und sie können vor allem auch in der Unberechenbarkeit, die die Krankheit mit sich bringt (etwa existenzielle Sorgen, Einschränkungen und Kontrollverlust oder Selbstzweifel), begründet liegen.

Stress zu vermeiden, ist da ein gut gemeinter Ratschlag, was aber macht man, wenn einem der Stress von außen übergestülpt wird, man handlungslos, machtlos und vor allem eins ist: völlig hilflos? Man macht nicht viel, außer sich mit allerhand zu versorgen, das einen zur RUHE kommen lässt: von CBD-ÖL (ich berichtete hier schon davon) oder Bachblüten „Rescue“ über Beruhigungsmittel und vor allem in meinem Fall auch eine Schlaftablette zum Einschlafen, um ausruhen und Reize abschalten zu können, das hilft…

Die MS geht mir auf die Nerven, aber…

Sowohl negativer also auch positiver Stress bringt ja auch Emotionen mit sich, die verarbeitet werden müssen. Aber man kann auch mitten im Stress lernen: Denn der geschundene ausgebrannte MS-Körper und die Seele, sie schaffen es immer und immer wieder aufzustehen. Inmitten der MS kann man nämlich eine seltsam wirkende Kraft entwickeln, die uns zeigt: Wir können und werden das schaffen, wir werden noch viel schaffen, denn trotz MS hat man diese Situation überlebt und bewältigt! Darauf darf man getrost stolz sein und daraus auch die Kraft zum Weitermachen und Kämpfen entwickeln.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen alles Liebe und Gute und dass Sie drohenden Stress bemerken und sich ihm so gut wie möglich entziehen können. Das schont unsere blanken Nerven. Man muss sich nämlich auch nicht über alles aufregen!

 Und hier noch ein Hinweis zu einem YouTube-Video, das ich zum Thema „MS und Stress“ erstellte: www.youtube.com/watch?v=5gpDfvKlEyQ.

Liebe Grüße
Heike Führ