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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Multiple Sklerose und die F. M. Alexander-Technik: Geistige und körperliche Bewegungsfreiheit entwickeln

Katrin Kluge, Blickpunkt-Ausgabe 3/2017

Ich hatte gerade mit meiner Schauspielausbildung angefangen, da spürte ich immer öfter ein Kribbeln im Körper, Doppelbilder beeinträchtigten mein Sichtfeld und ich konnte meine Blase nicht mehr kontrollieren. Ich war 23 Jahre alt und hatte MS, das ergab die Liquoruntersuchung im Krankenhaus. Nun stand für mich die Frage im Raum, ob ich diesen Beruf mit Multipler Sklerose je würde ausüben können. Ich entschied mich dafür, meine Ausbildung an der Schauspielschule fortzusetzen und lernte dadurch die Alexander-Technik kennen. Heute, über 20 Jahre nach der Diagnose, arbeite ich als Schauspielerin für Theater und TV und unterrichte die Alexander-Methode, die mein Leben mit MS von Grund auf verändert hat.

Alexander-Technik als Weg zu mehr Achtsamkeit und Gesundheit

Vor über 100 Jahren entwickelte der australische Schauspieler und Rezitator Frederick Matthias Alexander (1869–1955) seine Methode, um den Stimmausdruck zu verbessern. Seine pädagogische Methode verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz. Die Alexander-Technik ist ein Weg zu mehr Achtsamkeit und Gesundheit. Sie ist ein Übungsweg für den Alltag: Erfahrungen und Übungen zur Selbstwahrnehmung vergrößern die Sensibilität für körperliche Prozesse und deren Zusammenhänge mit Gedanken und Gefühlen.

Wir arbeiten im Liegen und mit alltäglichen Bewegungen wie Gehen, Stehen und Sitzen. Durch gedankliche Anweisungen und sanfte Berührungen mit den Händen werden die Prinzipien der Alexander-Technik vermittelt. Die Instrumente der Methode sind Innehalten und sich selbst Anweisungen geben. Durch bewusstes Stoppen lernen Sie, für einen Moment nicht „wie gewohnt“ auf einen inneren oder äußeren Reiz zu reagieren. Dadurch entsteht ein innerer Raum der Ruhe, den Sie dann nutzen, um sich selbst persönliche Anweisungen zu geben. Sie ermöglichen Ihrem Körper, sich neu zu organisieren und auszurichten. Das führt zu einer freieren und gelösteren Steuerung Ihrer Bewegungsabläufe.

Balance von Körper und Geist durch Bewusstheit

Der Grundgedanke ist, dass alle geistigen, seelischen und körperlichen Prozesse untrennbar in einem direkten Zusammenhang stehen. Dabei hat die Beziehung zwischen Kopf, Hals und Rumpf für die Koordination eine vorrangige Bedeutung: Das ausbalancierte Verhältnis dieser drei Körperregionen ist entscheidend für die Grundsteuerung in Ihrem gesamten Organismus. Ist diese Grundsteuerung gestört, dann ist Ihre Balance gestört und das führt zu vielfältigen Problemen: „Ohne sie (die Grundsteuerung) sind die Teile unseres Körpers wie die Teile eines Sinfonie-Orchesters vor der Ankunft des Dirigenten, wo jeder spielt, wie er will! Die einzelnen Töne sind ohne Harmonie und ergeben kein Ganzes. Ihre wichtigste Aufgabe ist, Körper und Geist als Einheit zu erhalten, und das heißt: in Gesundheit“, schreibt Louise Morgan so treffend über die Methode in ihrem Buch „Hilfe aus Dir selbst. Die Alexander-Methode: Ein Weg zu Gesundheit und Anmut“ von 1955.

Alexander-Technik bei Multiple Sklerose: was uns guttut

Wie kann diese Methode bei MS helfen? Die Alexander-Technik ist eine Anleitung zu lernen, was uns guttut. Das gilt natürlich grundsätzlich erst einmal für jeden. Aber aus eigener Erfahrung und durch die Arbeit mit vielen MS-Betroffenen habe ich erlebt, dass die Grundeinstellung „ich lasse es mir gut gehen“ für Menschen mit MS besonders wichtig sein kann. Ich selbst habe erst durch diese spezielle Technik gelernt, Pausen einzulegen – im Alltag und im Denken. Ich glaube, dass es darum geht, sein Nervensystem zur Ruhe kommen zu lassen. Ich lerne, meine Energie sinnvoll einzusetzen und bin in einem besseren Kontakt zu mir selbst. Durch die Anwendung der Alexander-Technik bin ich mehr in der Balance – mental, körperlich und emotional. Meine Erfahrung ist, dass ich dann die Dinge besser so annehmen kann, wie sie sind. Ich gewinne mehr Lebenskraft. Die Methode wirkt harmonisierend und kann gut ergänzend zur medizinischen und therapeutischen Behandlung bei MS genutzt werden. Ganz konkret kann diese Technik Menschen mit MS helfen, ein Stück Bewegungsfreiheit zurückzugewinnen.

Eine Klientin von mir, die mit MS lebt, berichtet von den wohltuenden Erfahrungen durch meinen Unterricht: „Da ich schon diverse Entspannungsverfahren und Körperwahrnehmungsübungen kennengelernt hatte, war ich sehr überrascht, welch großen Eindruck die Einzelstunde auf mich gemacht hat. Ich habe mich nach der Stunde im Spiegel angeschaut und der Unterschied zu vorher war deutlich zu sehen: Ich stand gerade und aufrecht und konnte viel sicherer gehen als üblich.“ Manchmal vergisst sie ihre Gehstöcke nach der Stunde ... Weiter beschreibt sie ihre Erfahrungen mit der Alexander-Technik dann so: „Doch das positive körperliche Erlebnis war nicht das Einzige, was mich so beeindruckt hat. Aussagen wie „ich lasse mich selbst in Ruhe“ oder „ich gebe meinem Körper Zeit und Raum, allen körperlichen und emotionalen Stress loszulassen“ haben etwas in mir berührt und ein großes Bedürfnis getroffen. Diese Sätze fallen mir im Alltag ab und zu ein und helfen mir dabei, innezuhalten und zu entspannen. Ich werde aufmerksamer, was ich automatisch tue und was ich mir damit oft antue. Wenn ich zu mir sage „ich lasse mich selbst in Ruhe“, merke ich, wie ich tief durchatme und entspanne. Ich habe durch die Alexander-Technik etwas für mich sehr Wertvolles an die Hand bekommen, um achtsamer mit mir umzugehen, im Alltag kurz innezuhalten, mich zu spüren, mich neu auszurichten und dann anders fortzufahren als bisher.“

Zugang zur Methode

Ich selbst lebe jetzt seit 21 Jahren mit MS in einem schubförmigen Verlauf. Meine dreijährige Ausbildung zur Lehrerin der Alexander-Technik habe ich 2008 abgeschlossen. Seit 2007 bin ich schubfrei. Ich glaube, es kommen mehrere Dinge zusammen, die zu dem positiven Krankheitsverlauf beigetragen haben. Einen großen Anteil daran hat in meinen Augen die Alexander-Technik. Ich denke, besonders für uns MS-Erkrankte ist es von entscheidender Bedeutung für das seelische Gleichgewicht, in der Gegenwart zu leben und nicht in der Vergangenheit oder einer fernen Zukunft. Die Methode ist eine Kunst der Veränderung. „Wenn wir aufhören, das Falsche zu tun, geschieht das Richtige von selbst“, sagte F. M. Alexander.

Wie eine frische Mango schmeckt, kann man in Worten nicht vollkommen beschreiben. Die Erfahrung kann man nur selber machen. Um eine ausgebildete Lehrerin oder einen Lehrer in Ihrer Nähe zu finden und für weitere Informationen schauen Sie sich gerne auf der Seite unseres Berufsverbandes unter www.alexander-technik.org um. Da Menschen verschieden sind, ist die Anzahl der Unterrichtsstunden individuell und ergibt sich aus Ihren Themen. Ich empfehle Ihnen für das Erlernen eines Grundverständnisses zunächst fünf bis sieben Einzelstunden im wöchentlichen Rhythmus. Mehr über mich und meine Arbeit finden Sie unter www.kluge-alexandertechnik.de.