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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

COVID-19 und der globale Süden

Christiane Fischer, Blickpunkt-Ausgabe 04/2022

Welche Auswirkungen haben die COVID-Maßnahmen für Menschen aus Ländern des Südens und des Nordens? Sind diese für die Armen weltweit eher positiv oder eher negativ? Wie sind sie politisch einzuordnen? Diese Fragen sollen im folgenden Artikel beantwortet werden, indem Auswirkungen häufiger Maßnahmen auf die individuelle und globale Gesundheit unter Berücksichtigung gesellschaftlicher, sozialer oder ökologischer Aspekte evaluiert werden.

Impfungen

Diese sind auf individueller Ebene mit allen Impfstoffen positiv zu sehen. Auf globaler Ebene stellt sich allerdings das Problem, dass Menschen insbesondere aus afrikanischen Ländern keinen oder einen nur sehr eingeschränkten Zugang dazu haben. Während die Impfquote in Deutschland am 31.8.2022 bspw. bei 76,2 % lag, waren es etwa in Burkina Faso nur 8,1 %.

Ein Hauptgrund für den mangelnden Zugang armer Staaten ohne eigene Pharmaindustrie sind die massiv überhöhten Produktpreise, die meist durch einen unnötigen Patentschutz verursacht werden. Global sind 67,7 % der Menschen weltweit zwar mindestens einmal geimpft – jedoch verteilt sich der Impfstoff wie fast immer sehr ungerecht zwischen den Reichen, die förmlich „im Impfstoff schwimmen“, und den Armen, die nehmen müssen, was übrigbleibt. Wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, haben 34 Länder aktuell eine Impfquote von unter 10 %.

Indien hat dagegen eine Impfquote von 73 %, da die Impfstoffe im Land selbst von eigenen Pharmafirmen produziert werden und so der gesamten Bevölkerung zugänglich sind. Auch aufgrund des bestehenden Patentrechts in vielen afrikanischen Ländern kann Indien seine Impfstoffe aber nicht exportieren. So haben Südafrika und Indien bereits am 2.10.2020 bei der Welthandelsorganisation (WTO) beantragt, zeitweilig für alle Produkte, die zur Vorbeugung, Eindämmung und Behandlung von COVID-19 notwendig sind, den Patentschutz auszusetzen. In der Sprache der WTO heißt so eine Ausnahmeregelung „TRIPS Waiver“. Seit Oktober 2020 unterstützen über 100 Regierungen den TRIPS-Waiver. Nach 18-monatigen Verhandlungen ist ein Dokument an die Öffentlichkeit gelangt, das als möglicher Kompromiss der EU, USA, Südafrikas und Indiens bezeichnet wird. Der Text entspricht jedoch in keiner Weise dem ursprünglich von Indien und Südafrika eingebrachten Antrag – er ist zu eng gefasst, bietet keine ausreichenden Maßnahmen für einen gleichberechtigten Zugang zu COVID-19-Technologien und stellt damit keine Vereinfachung, sondern eine Verkomplizierung der notwendigen Bedingungen dar.

Tests

Die Sensitivität von Tests liegt nur bei 40 %, wie der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V. (BVKJ) kürzlich evaluierte. Die Zahl falsch-negativer und falsch-positiver Ergebnisse sei inakzeptabel hoch und brächte mehr Schaden als Nutzen, so das Fazit. Die mit den Tests verbundenen Isolations- und Quarantänemaßnahmen und Schulschließungen haben dazu geführt, dass insbesondere der Schulbetrieb und somit die Bildung der Kinder und Jugendlichen massiv gestört wurde. Ängste und Unsicherheiten, die durch mangelhafte Tests ausgelöst werden, sind ebenso problematisch zu bewerten wie die große Müllmenge, die durch die Tests verursacht wird.

Daher ist die anlasslose Testung, sei es mit Antigen-Schnelltests oder PCR-Pooltests, derzeit und voraussichtlich für den weiteren Pandemieverlauf nicht mehr zu rechtfertigen. Dies sollte auch für Pflegeheime, Kliniken und andere Einrichtungen gelten, wie das Beispiel der Schweiz zeigt, die bereits im Februar dieses Jahres alle Corona-Maßnahmen abgeschafft hat und trotzdem keine höhere Inzidenz als Deutschland aufweist.

Masken

In der Debatte um das neue Infektionsschutzgesetz hat sich der BVKJ gegen eine Maskenpflicht für Schüler*innen im Herbst und Winter ausgesprochen – Studien würden zeigen, dass Masken die Infektionen eher zeitlich aufschöben. Gleichzeitig hatten Personen, die in der Öffentlichkeit in Innenräumen konsequent und korrekt einen Mund-Nasen-Schutz tragen, in einer Fallkontrollstudie der kalifornischen Gesundheitsbehörde ein deutlich vermindertes Risiko, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren. Folglich muss hier eine Güterabwägung stattfinden zwischen Fremd- und Eigenschutz, dem eigenen Körpergefühl und dem Recht, selbst keine Maske zu tragen. Dass sich Menschen effektiv selbst durch eine Maske schützen können, sollte keiner Pflicht, sondern nur einer Empfehlung folgen.
Aus ökologischer Sicht verursachen auch Masken sehr viel Müll – für ihre Produktion werden viele Ressourcen verwendet, die in anderen Bereichen fehlen. Auch diese Gründe sprechen gegen eine Beibehaltung oder Wiedereinführung der Maskenpflicht.

Lockdowns

Die gesellschaftlichen Auswirkungen von Lockdowns sind ungleich höher als die positiven Effekte für die Gesundheit, die sie bewirkt haben. Dies gilt insbesondere für Arme in Ländern des Südens. Wenn Menschen durch Lockdowns kein Geld verdienen können, um damit z. B. zu einem Treatment Center für Tuberkulose oder HIV/Aids zu fahren, verursacht dies vermehrt Resistenzen und Todesfälle in armen Ländern. Andere Maßnahmen wie Ausgangssperren waren aufgrund mangelnder Evidenz auch generell umstritten.

Fazit

Impfungen sind die effektivste Maßnahme, um die Pandemie nachhaltig zu bekämpfen. Damit alle Menschen Zugang zu Impfungen haben, ist es notwendig, Patente auf Impfstoffe, Medikamente und Diagnostika auszusetzen. Die Auswirkungen der anderen COVID-19-Maßnahmen sind insbesondere für Menschen aus Ländern des Südens (aber auch des Nordens) aus den beschriebenen Gründen problematisch.

Auch im Fall der COVID-19-Pandemie bleibt zentrales Ziel fortschrittlicher (Gesundheits-)Politik, die Armut weltweit zu bekämpfen. Der Fokus muss in Zukunft also auf solchen Maßnahmen liegen, die den Armen dienen. Dies ist nur mit einem patentfreien Zugang gegeben. Daher sollte unser Einsatz für patentfreie Impfstoffe, Medikamente und Diagnostika verstärkt werden, damit globale Gerechtigkeit entstehen kann.

Quellen