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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Mykotherapie: Zum Einsatz von Vitalpilzen bei Multipler Sklerose

Red., Blickpunkt-Ausgabe 4/2018

Vitalpilze spielen sowohl im asiatischen als auch im europäischen Kulturraum bereits seit Jahrhunderten eine wichtige Rolle bei der natürlichen Vorbeugung und Behandlung von unterschiedlichen Krankheiten. Sie schützen vor oxidativem Stress, wirken entgiftend und enthalten Vitamine und Spurenelemente. Durch Vitalpilze in Gang gesetzte, immunstärkende Prozesse und Wirkmechanismen, die auch bei MS von zentraler Bedeutung sind, wurden in den letzten Jahren verstärkt mit naturwissenschaftlichen Methoden untersucht und können demzufolge im Rahmen einer Mykotherapie physische und psychische Auswirkungen der Krankheit positiv beeinflussen.

Was sind Vitalpilze?

Pilze gehören zur Kategorie der Eukaryonten (sind biologisch gesehen also weder pflanzlich noch tierisch), und machen etwa ein Viertel der gesamten Biomasse der Erde aus. Erfasst sind etwa 100 000 von geschätzten 1,5 Millionen Arten. Während 90 Prozent mikroskopisch klein sind (wie etwa Hefe- oder Schimmelpilze), bilden die restlichen 10 Prozent die Gruppe der „höheren“ Pilze (wie etwa Groß- oder Ständerpilze), zu denen auch die Speisepilze zählen. Vitalpilze (also Pilze mit pharmakologisch bedeutsamer Wirkung, auch Heil- oder Medizinalpilze genannt) sind Teil dieser zweiten Gruppe. Durch ihren Lebensraum bedingt, bilden sie wichtige Vitamine, Mineralstoffe sowie pilzspezifische Inhaltsstoffe aus, die isoliert und für Menschen nutzbar gemacht werden können.

Ursprung und Geschichte der Mykotherapie

Bereits seit circa 3000 Jahren ist der Einsatz von Vitalpilzen für den asiatischen Raum, vor allem für Anwendungen der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) in China und Japan sowie der Ayurvedischen Medizin in Indien, dokumentiert. Aber auch in Europa weisen zahlreiche Überlieferungen aus der Naturheilkunde (bereits in der Antike bei Galen, im 13. Jahrhundert bei Hildegard von Bingen oder in der mittelalterlichen Klostermedizin) auf deren erfolgreichen Einsatz bei einer Vielzahl von Beschwerden hin. Seit die TCM in den 1970er Jahren mit ihren Anwendungen in der westlichen Welt verstärkt in den Blickpunkt wissenschaftlichen Interesses gerückt ist, werden auch die Wirkweisen und möglichen Anwendungsbereiche von überwiegend im asiatischen Raum kultivierten Vitalpilzen stärker erforscht. Der Begriff „Mykotherapie“ (von Griechisch μύκης mýkēs für Pilz) wurde dieser Anwendung erstmals im Jahr 1997 vom deutsch-ungarischen Pilzforscher Jan Ivan Lelley zugeordnet. Heute erfährt die Mykotherapie zunehmend wissenschaftliche Fokussierung und ihre Inhalte werden auf speziellen Lehrgängen vermittelt. Sie hat das Verständnis von individuellem Krankheitsgeschehen zum Ziel und dabei zwei Aspekte besonders im Blick: den ganzen Menschen (und nicht nur seine Krankheit) sowie die Identifizierung und Behebung der Krankheitsursachen (und nicht nur ihrer Symptome).

Inhaltstoffe und Wirkweisen

Die in Vitalpilzen enthaltenen Inhalts- und wirkrelevanten Einzelstoffe sind bis heute nur teilweise erforscht. Zu den Wichtigsten gehören:

  • biologisch aktive Vielfachzucker (Polysaccharide), die sogenannten Beta-Glucane, die verschiedene Abwehrzellen des Immunsystems so aktivieren können, dass eine Immunantwort eingeleitet wird, ohne eigene Krankheitssymptome hervorzurufen. Die so begünstigte Bildung von Antikörpern unterstützt körpereigene Abwehrkräfte maßgeblich in deren Funktion. Beta-Glucane wirken auch prebiotisch (ernähren also die für die Darmflora nützlichen Bakterien) und haben eine regulierende Wirkung auf Stoffwechselprozesse, Entzündungsgeschehen und den Säure-Basen-Haushalt im Gewebe;
  • entzündungs- und keimhemmende Bitterstoffe (wie Terpene und Triterpene), die antiallergisch wirken und die Leber bei Entgiftungsprozessen unterstützen;
  • unentbehrliche Aminosäuren/Proteine (wie Arginin oder Ergothionein), die als Antioxidantien wichtige Funktionen für die Zellgesundheit haben;
  • Mykosterine (wie Ergosterol, die Vorstufe von Vitamin D), die antimykotisch wirken;
  • Nukleoside (wie Adenosin), die durchblutungsfördernd, gefäßerweiternd und antikonvulsiv wirken sowie
  • Vitamine wie B1, B2, C, D3, E, Biotin oder Folsäure, Mineralstoffe wie Magnesium, Kalzium oder Kalium oder Spurenelemente wie Kupfer, Selen oder Zink, die von maßgeblichen Entgiftungsenzymen benötigt werden. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Mikronährstoffversorgung des Organismus.

Im Rahmen der Mykotherapie entfalten Vitalpilze ihre Wirkung entweder einzeln oder in Kombination miteinander. Sekundäre Pflanzenstoffe können dabei an Rezeptoren binden und in ein Gleichgewicht bringende Prozesse im Körper auslösen. Sie wirken adaptogen, das heißt, sie passen sich der dortigen Situation an und werden, wo nötig, regulierend tätig. Der Organismus kann sich so auf Stresssituationen besser einstellen (englisch: to adapt), seine Leistungsfähigkeit wird erhöht und die Widerstandskraft verbessert. Vitalpilze eignen sich gleichermaßen zur Vorbeugung von Krankheiten sowie zu deren unterstützenden therapeutischen Behandlung. So sind sie zum Beispiel im Bereich der Immuntherapie (Krebs/HIV) in den USA oder Japan offiziell zugelassen oder finden Anwendung unter anderem bei Stoffwechselkrankheiten, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Entzündungen im Bereich des Darms und der Haut, Nervenleiden oder Muskelerkrankungen.

Zum Einsatz von Vitalpilzen bei MS

Im MS-Geschehen können Vitalpilze immunstärkend, entzündungshemmend, stoffwechselanregend und entgiftend wirken. Von besonderer Wichtigkeit ist dabei ihr antioxidativer Charakter. Sie beugen Zellschädigungen vor, indem sie sogenannte freie Radikale funktionsuntüchtig machen und leisten damit einen umfassenden Beitrag zur Zellgesundheit des gesamten Organismus. Auch für den Aufbau und Schutz einer gesunden Darmflora, eine Infektvorbeugung und -behandlung, die Muskelregeneration und die Behandlung von chronischen Erschöpfungszuständen oder nervöser Unruhe können sie sehr hilfreich sein.

Wichtige Vitalpilze bei MS im Überblick

Jeder Vitalpilz hat sein spezielles Wirkspektrum und wird auf die jeweils individuelle Situation der Betroffenen abgestimmt verabreicht. Die nachstehende kurze Beschreibung und Auswahl aus einer Vielzahl von möglichen Vitalpilzen kann hier daher nur einen Einblick in Möglichkeiten geben, das MS-Geschehen durch den begleitenden Einsatz von Vitalpilzen positiv zu beeinflussen.

Agaricus blazei Murrill (ABM, Mandelpilz, Sonnenpilz)

Agaricus kann auf das gesamte Immunsystem regulierend und stärkend einwirken und ist durch seinen sehr hohen Anteil an Beta-Glucanen für die Therapie von Fehlsteuerungen in der körpereigenen Abwehr gut geeignet. Er wirkt entzündungshemmend und antiallergisch, regt die Lymphozytentätigkeit in der Darmschleimhaut an, bringt Stoffwechselprozesse in Gang und entgiftet.

Cordyceps sinensis (Chinesischer Raupenpilz, Tibetischer Raupenkeulenpilz)

Cordyceps wird überwiegend zur Stärkung der Kraft, Leistungsfähigkeit, Stressresistenz, bei Erschöpfungszuständen (wie Burn-out oder Fatigue), zur Muskelregeneration und Stimmungsaufhellung eingenommen. Er unterstützt zudem Lunge, Herz und Nieren. Das enthaltene Cordycepin wirkt regulierend und anregend auf den Organismus und hat starke antioxidative Effekte.

Coriolus versicolor (Schmetterlingstramete, Schmetterlingsporling)

Coriolus wird zur vorbeugenden Stärkung des Immunsystems und bei chronischen Infektionen (Lunge, Magen, Darm, Leber) eingesetzt. Durch seine Polysaccharide PSK und PSP besitzt er stark entzündungshemmende, antivirale und antibakterielle Eigenschaften und wirkt auf geschädigte Leberzellen nachweislich revitalisierend.

Hericium erinaceus (Igelstachelbart, Affenkopfpilz, Pom-Pom)

Sein Inhaltsstoff Erinacin hilft nachweislich, Nervenwachstumsprozesse durch die Produktion von Nervenwachstumsfaktoren (NGF) positiv zu beeinflussen. Durch MS geschädigte Nervenzellen können repariert, Schäden so minimiert und Funktionen des Nervensystems besser unterstützt werden. Aufgrund von wichtigen Aminosäuren, Mineralstoffen, Polysacchariden und Polypeptiden eignet sich der Pilz begleitend bei der Behandlung von entzündlichen Magen-Darm-Erkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa oder Leaky gut) oder Haut- und Schleimhauterkrankungen. Hervorzuheben ist auch seine angstlösende und schlaffördernde Wirkung.

Maitake (Grifola frondosa, Gemeiner Klapperschwamm, Laubporling)

Maitake dämmt Entzündungen ein, fördert die Sauerstoffsättigung im Blut und hat verdauungsfördernde Eigenschaften. Er stärkt dabei die Entgiftungsleistung der Leber und verhindert die Bildung freier Radikale. Seine gezielte Immunaktivierung entfaltet er über die Polysaccharide Grifolan und Grifolin, während das enthaltene Ergothionein eine Schmerzreduktion bei Arthritis und Morbus Crohn bewirkt.

Reishi (Glänzender Lackporling, Ganoderma lucidum, „Pilz der Unsterblichkeit“)

Immunmodulierende Eigenschaften begrenzen überschießende Immunreaktionen und die insgesamt stärkende Funktion des Pilzes kann die körperliche und geistige Verfassung so verbessern helfen, dass der Organismus besser mit der Erkrankung zurechtkommt. Reishi wirkt nachweislich schmerzstillend, stärkt die Muskulatur und hat durch seine antioxidativen Eigenschaften einen positiven Effekt auf die Gesundheit von Herz und Blutgefäßen. Schlussendlich wirkt er günstig auf die Psyche, das zentrale Nervensystem allgemein und kann so bei Schlaflosigkeit oder Nervosität beruhigend wirken.

Darreichungsformen und Dosierung

Vitalpilze werden häufig als Kapseln angeboten, die entweder Pulver oder Extrakt enthalten. Das Pulver (in der Regel eher zur Vorbeugung), besteht aus dem getrockneten und gemahlenen Fruchtkörper, während in einem Extrakt die das Immunsystem verändernden Substanzen in bis zu 20-facher Konzentration enthalten sind (und sich so Inhaltsstoffe bei Erkrankungen gezielt höher dosieren lassen). Für Menschen, die keine Kapseln nehmen können, existieren auch sogenannte Liquids, also Flüssigextrakte, die mit ihrer sehr hohen Inhaltsstoffkonzentration schneller im Körper aufgenommen werden können. Die positiven Aspekte einer jeden Darreichungsform können in vielen Fällen durch Kombinationen sinnvoll miteinander verbunden werden; die gleichzeitige Einnahme von Vitamin C verbessert dabei die Aufnahme der pilzspezifischen Inhaltsstoffe. Die genaue Dosierung ist abhängig vom individuellen Krankheitsgeschehen; die Präparate sollten zur besseren Verträglichkeit anfangs aber eher gering dosiert werden. Um umfänglich wirken zu können, zielt die Einnahme auf mittlere bzw. längerfristige Zeiträume ab.

Einordnung und Empfehlung

Vitalpilze sind in Deutschland bisher nicht als Arzneimittel zugelassen, da die Datenlage hinsichtlich klinischer Studien am Menschen nach internationalen Standards wohl bisher nicht umfassend genug ist, um sie offiziell als wirksam und sicher bezeichnen zu können. Häufig als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben, findet ihre Anwendung in Deutschland derzeit im Rahmen der Therapiefreiheit von Ärzten und Heilpraktikern statt.

Die Verbraucherzentralen weisen darauf hin, dass Produkte aus dem asiatischen Raum oft unbekannte und nicht deklarierte Inhaltsstoffe enthalten oder Verunreinigungen mit gesundheitsschädlichen Stoffen wie Pilzgiften (Aflatoxine) aufweisen können. Vitalpilze, die zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden, sollten daher zwingend von zertifizierten Herstellern stammen und durchweg von Bio-Qualität sein. Aufgrund der oben genannten Problematik, der Möglichkeiten von Wechselwirkungen mit Medikamenten sowie der Vielzahl der Vitalpilze und deren Kombinationsmöglichkeiten empfiehlt sich vor der Einnahme in jedem Fall die Rücksprache mit dem behandelnden Arzt sowie eine umsichtige und umfassende Begleitung durch erfahrene Therapeuten, die hochwertige Zubereitungen, Dosierungen und Kombinationen individuell und auf das jeweilige Krankheitsbild abgestimmt zusammenstellen können. (Red.)

Weiterführende Literatur

Berg, B., Lelley, J.I. 2015. Apotheke der Heilpilze. Kompendium der Mykotherapie: Einsatzmöglichkeiten der wichtigsten Vitalpilze in Prävention und Therapie. Weil der Stadt: Natura Viva Verlag.
Ganeshpurkar, A., Rai, G., Jain, A.P. 2010. Medicinal mushrooms – towards a new horizon. Pharmacogn Rev. 2010 Jul-Dec; 4(8): 127–135, unter: www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3249912/.
Powell, M. 2010. Medicinal mushrooms: a clinical guide, 2nd. edn. Eastbourne: Mycology Press.
Schlink, G. 2015. Unterstützende Behandlung der Multiplen Sklerose mit Heil- bzw. Vitalpilzen, unter www.lsms.info/fileadmin/user_upload/Heilpilzartikel_Schlink_f.lsms_2015-12-09.pdf.

Bezugsmöglichkeiten und Therapeutensuche