Skip to main content

Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Assistenz im Krankenhaus

Anja Bollmann, Blickpunkt-Ausgabe 04/2021

Zur Kostenübernahme für die notwendige Begleitung von Menschen mit Behinderung

Steht eine Krankenhausbehandlung an, stellt das für viele Betroffene eine Ausnahmesituation dar. Für Menschen mit Behinderung ist es häufig mit Stress, Angst oder Unsicherheit verbunden. Je nach Ausmaß und Schwere der Beeinträchtigung stellt ein Krankenhausaufenthalt und die damit verbundene Orientierung in nicht vertrauter Umgebung, die Kommunikation mit dem Krankenhauspersonal und das Fehlen einer vertrauten Bezugsperson für diese Menschen oftmals eine besondere Herausforderung dar. Das Thema ist bekannt unter dem Stichwort „Assistenz im Krankenhaus“. Es gilt, in einer neuen räumlichen Umgebung zurechtzukommen, die eventuell nicht vollständig für die eigenen Bedürfnisse passt. Jahrelang war die Kostenübernahme für die notwendige Begleitung von Menschen mit Behinderung bei Krankenhausaufenthalten ungeklärt. Wie wird der Verdienstausfall der Begleitpersonen ausgeglichen, wer trägt die Personalkosten für Assistenten – das und weitere Fragen sind jetzt geklärt.

Überblick

Kommen Menschen mit Behinderung ins Krankenhaus, gibt es zwei neue Leistungen, und zwar einmal im Recht der Krankenversicherung – 5. Sozialgesetzbuch, SGB V – und zum anderen im Recht der Eingliederungshilfe – 9. Sozialgesetzbuch, SGB IX.
Die gesetzliche Krankenversicherung kennt bereits den Anspruch auf Krankengeld. Es ist ein neuer Anspruch auf Krankengeld hinzugekommen. § 44 b SGB V regelt das Krankengeld für eine bei stationärer Behandlung mitaufgenommene Begleitperson aus dem engsten persönlichen Umfeld.

Die Regelung im Recht der Eingliederungshilfe findet sich in § 113 SGB IX. Darin sind die Leistungen zur sozialen Teilhabe bestimmt, die erbracht werden, um eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern. In den neuen Absätzen 5 und 6 des § 113 SGB IX geht es um die stationäre Krankenhausbehandlung.

Aus beiden Regelungen können erst ab dem 1. November 2022 Ansprüche geltend gemacht werden. Das ist gesetzlich bestimmt. Von dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales werden beide Regelungen im Einvernehmen mit den Ländern in den nächsten Jahren auf ihre Wirkung hin untersucht. Dabei geht es u. a. um die Frage der Praktikabilität der jeweiligen Lösung für die Beteiligten und auch die finanziellen Auswirkungen der Regelungen für die jeweiligen Leistungssysteme, d. h. Krankenversicherung und Eingliederungshilfe.

Im Einzelnen

Regelung in der gesetzlichen Krankenversicherung, SGB V

Nach § 44 b SGB V besteht für die Begleitperson ein Krankengeldanspruch, wenn sie zur Begleitung eines Versicherten bei einer stationären Krankenhausbehandlung mitaufgenommen werden muss. Voraussetzung ist, dass es sich um einen Menschen mit Behinderung handelt, dass die Begleitung aus medizinischen Gründen notwendig ist und dass der Mensch mit Behinderung Eingliederungshilfeleistungen bezieht, wobei aber die Begleitung im Krankenhaus nicht als Eingliederungshilfeleistung in Anspruch genommen wird. Zu den Voraussetzungen gehört weiterhin, dass die Begleitperson ein naher Angehöriger oder eine Person aus dem persönlichen Umfeld ist und dieser Begleitperson ein Verdienstausfall entsteht.

 Mensch mit Behinderung: Von einem Menschen mit Behinderung ist auszugehen, wenn die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 SGB IX erfüllt sind, also, wenn eine körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigung, die den Menschen in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern kann. Wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, liegt eine Beeinträchtigung vor. Ist das der Fall, muss die Begleitperson mit aufgenommen werden.

Aber nicht immer ist eine Übernachtung erforderlich. Daher steht der Mitaufnahme eine ganztägige Begleitung gleich. Von einer ganztägigen Begleitung ist auszugehen, wenn die Zeit, die die Begleitperson aufwendet, 8 oder mehr Stunden beträgt. An- und Abreise werden mitgerechnet. Es besteht also kein Anspruch auf Krankengeld, wenn die Begleitung nur für wenige Stunden erforderlich ist.

Notwendige medizinische Gründe: Die Mitaufnahme der Begleitperson muss medizinisch notwendig sein. Wann und ob das der Fall ist, begründet sich in erster Linie aus der medizinischen Indikation der behandlungsbedürftigen Person. Abzustellen ist bei der Beurteilung aber auch auf die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der behandlungsbedürftigen Person. Es ist also nicht erforderlich, dass eine physische Indikation die Mitaufnahme rechtfertigt. Auch dann, wenn bspw. der Mensch mit Behinderung die Begleitperson im Umgang mit einer Belastungssituation braucht, ist die Mitaufnahme aus medizinischen Gründen notwendig. Oftmals wird es auch so sein, dass eine Einweisung in ein therapeutisches Konzept erfolgt. Wenn die Übungen nachstationär, also nach der Krankenhausentlassung, mit der Begleitperson erfolgen müssen, um den Erfolg der Therapie zu gewährleisten, ist ein medizinisch notwendiger Grund gegeben.

Begleitpersonen: Die Begleitperson ist meist die vertraute Bezugsperson. Das können Angehörige, also z. B. Eltern oder Schwiegereltern, Ehegatten oder Lebenspartner*innen, Großeltern, Geschwister und Kinder sein. Infrage kommen aber auch andere Personen aus dem engsten persönlichen Umfeld. Das setzt voraus, dass zwischen dieser Person und der stationär zu behandelnden Person die gleiche persönliche Bindung besteht wie bei einem nahen Angehörigen.

Wahlrecht: Im Krankenversicherungsrecht gibt es auch einen Anspruch auf Kinderkrankengeld. Der Anspruch ist höher. Wenn also Eltern ihre Kinder mit Behinderung ins Krankenhaus begleiten, können sie den höheren Kinderkrankengeldanspruch wählen.

Freistellung: Wenn Arbeitnehmer*innen einen ihnen nahestehenden behinderten Menschen ins Krankenhaus begleiten, haben sie gegenüber ihrem Arbeitgeber nach § 44 SGB V Anspruch auf Freistellung. Das gilt selbst dann, wenn der/die Arbeitnehmer*in selbst nicht gesetzlich krankenversichert ist. In arbeitsrechtlicher Hinsicht ist der Freistellungsanspruch uneingeschränkt und kann auch nicht durch den Arbeitsvertrag ausgeschlossen oder beschränkt werden. Das bedeutet, dass die Begleitperson auch einen Anspruch auf unbezahlte Freistellung gegenüber dem Arbeitgeber hat.

Regelung im Recht der Eingliederungshilfe, SGB IX
Hier geht es um die Übernahme der Kosten für die Begleitung durch eine vertraute Bezugsperson bei einer stationären Krankenhausbehandlung durch den Träger der Eingliederungshilfe. Voraussetzung ist, dass die Begleitung aufgrund des Vertrauensverhältnisses des Menschen mit Behinderung und aufgrund der behinderungsbedingten besonderen Bedürfnisse erforderlich ist. Insoweit unterscheidet sich die Regelung von der Bestimmung im SGB V, in der medizinische Gründe genannt und definiert werden.

Wichtig ist, dass nach der Regelung des SGB IX die Kosten für die Begleitung der Bezugsperson nur dann übernommen werden, wenn die Begleitperson für den Menschen mit Behinderung bereits im Alltag Leistungen der Eingliederungshilfe erbringt. Dazu zählt auch die Leistungserbringung in Form des persönlichen Budgets.

Ambulante Dienste: Die Leistung der Eingliederungshilfe kann auch durch ambulante Dienste erfolgen, da es keine Rolle spielt, wo die Leistung erbracht wird. Wichtig ist, dass dann ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen der Person und dem Leistungsbereich Menschen mit Behinderung bestehen muss.

Pflegerische Versorgung: Während des Krankenhausaufenthaltes bleibt das pflegerische Personal des Krankenhauses für die pflegerische Versorgung zuständig. Pflegerische Leistungen sind bspw. Waschen, Ankleiden, Anreichen von Nahrung, d. h. die sogenannte Grundpflege. Dementsprechend wirkt sich die Übernahme der Kosten für die Begleitung nicht auf die pflegerischen Leistungen im Krankenhaus aus. Das gilt auch für Menschen mit Sprach- oder Hörbehinderungen oder andere Kommunikationshilfen und die Verpflichtung des Krankenhauspersonals zu verständlicher Kommunikation mit dem behinderten Menschen.

Fazit

Eine lange schon erforderliche Regelung ist durch den Gesetzgeber nun endlich geschaffen worden. Allerdings bleibt einiges offen. Menschen mit Behinderung, die keine Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten, also bspw. ihre Assistenz selber zahlen, oder pflegebedürftige Menschen mit demenziellen Erkrankungen, können im Fall eines stationären Krankenhausaufenthaltes weder von dem Anspruch auf Krankengeld nach § 44 b SGB V noch von der Regelung in § 113 Abs. 5, 6 SGB IX profitieren.