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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Zur Wohnsituation von Menschen mit Behinderung und erhöhtem Assistenzbedarf: Welche Möglichkeiten gibt es für jüngere Pflegebedürftige?

Claudia Heese, Blickpunkt-Ausgabe 04/2013

Aufgrund meiner eigenen Lebenssituation möchte ich auf die Problematik dieser betroffenen Menschen aufmerksam machen:Bis vor vier Jahren lebte ich in einer Partnerschaft, wurde das ein oder andere Mal von anderen alleinstehenden Betroffenen auf die Problematik hin angesprochen, hatte aber das Gefühl, dass das nicht mein Thema ist. Nun, nachdem mein Mann gestorben ist, hat sich meine Lebenssituation radikal verändert. Da meine Krankheit rasant fortschreitet, war ich eigentlich schon direkt nach seinem Tod auf Assistenz angewiesen.

Hilfe zuhause: wie findet man passende Assistenzkräfte?

Da wir bereits in den letzten Wochen, als mein Mann noch lebte, die Pflege zuhause mit einer osteuropäischen Betreuerin organisiert hatten, ging das nahtlos weiter. Ich bin in der glücklichen Lage, das finanziell stemmen zu können und habe eine entsprechend große Wohnung. So hat sich lange nicht die Frage nach einem Zur Wohnsituation von Menschen mit Behinderung und erhöhtem Assistenzbedarf Welche Möglichkeiten gibt es für jüngere Pflegebedürftige? stationären Wohnen für mich gestellt.

Nach dreieinhalb erfolgreich so organisierten Jahren, wurde es dieses Jahr erstmals schwierig eine neue Betreuerin zu finden, nachdem im vergangenen Jahr eine Kraft ihre Arbeit bei mir nach einem Jahr beendet hatte. Das ständige Anlernen neuer Betreuungskräfte fällt mir mittlerweile sehr schwer und die Vermittlungsagentur deutete an, dass möglicherweise für mich niemand zu finden ist. Daraus ergibt sich das erste Problem: Möchte ich zuhause leben (was mir laut UN Menschenrechtskonvention zusteht und die notwendige Assistenz selber organisieren (entweder aus privatem Vermögen finanziert oder eventuell über das persönliche Budget), dann stellt sich die Frage, woher ich die Assistenzkräfte bekomme. Ich habe bis jetzt noch niemanden gefunden, der hier hilft, entsprechende Menschen zu finden.

Der Rückgriff auf die vielen Agenturen, die 24 Stunden Betreuung für Senioren organisieren, erscheint mir mittlerweile aufgrund eigener Erfahrung nicht geeignet. Die Betreuung eines alten Menschen unterscheidet sich unter Umständen erheblich von der Assistenz eines körperbehinderten, in der Regel jüngeren Menschen. Da ist einmal der gesamte Tagesrhythmus (wir gehen nicht so früh schlafen, wollen vielleicht auch einmal in ein Konzert oder ins Kino) und möglicherweise auch eine ständig erforderliche Präsenz (zu trinken geben, Nase putzen, sitzen korrigieren).

Also bleibt mir nur das Suchen in entsprechenden Internetbörsen, bei normalen Arbeitsvermittlungsagenturen oder über Zeitungsinserate übrig. Findet man überhaupt Menschen, muss man Vorstellungsgespräche durchführen und trägt ein erhebliches Risiko bei der Einschätzung dieser fremden Menschen, die später eine absolute Vertrauensstellung im Haushalt einnehmen sollen.

Hier würde ich mir den Aufbau eines Netzwerks für Assistenzkräfte wünschen. Wenn es eine anerkannte Organisation (einer der vielen Verbände, Selbsthilfeorganisationen oder Vereine) betreiben würde, könnte diese die Assistenzkräfte vielleicht vorab bewerten, um das Risiko für die Betroffenen etwas zu minimieren.

Pflegedienst oder Pflegeheim?

Da ich keine Chance habe, alleine zu leben und auf eine 24-Stunden-Betreuung angewiesen bin, hat mich etwas die Panik ergriffen und ich habe begonnen, nach Alternativen Umschau zu halten. Zunächst einmal engagierte ich einen deutschen Pflegedienst (siehe Leserbrief im Blickpunkt 3/13) und knüpfte erste Kontakte zu Pflegeheimen hier im Landkreis (Konstanz). Was es im Prinzip bedeutet, von einem selbstständigen Wohnen in ein Heim zu gehen, war mir durchaus bewusst. Letztlich stellte sich heraus, dass es im gesamten Landkreis nur stationäre Einrichtungen für wirklich sehr alte, demente, schwer erkrankte Pflegefälle oder geistig behinderte Menschen gibt. Natürlich kann man sich in gewisser Weise in ein solches Umfeld integrieren, vor allen Dingen, wenn man noch etwas mobil ist. Aber die straffe Organisation und die Personalsituation machen es erforderlich, dass die Menschen auf einer Station ähnlich behandelt werden. Das betrifft vor allem Dinge wie zu Bett gehen am Abend. Die Nachtschicht beginnt um 21.00 Uhr und ist so dünn besetzt, dass sie keinen aufwändig zu versorgenden Menschen noch spät ins Bett bringen kann.

Wenig spezielle Einrichtungen für jüngere Pflegebedürftige

Ich begann mich weiter umzusehen. Es gibt unter dem Stichwort „junge Pflege" durchaus Einrichtungen, die den Bedürfnissen von jüngeren Pflegebedürftigen gerecht werden. Das geht natürlich nur, wenn alle Bewohner ähnlich zu behandeln sind. Diese Einrichtungen sind aber sehr rar und haben zwei Nachteile: Zum einen gibt es sehr lange Wartezeiten und zum anderen bedeutet es häufig, dass man seinen sozialen Kontext verlassen muss und quasi auf die grüne Wiese zieht. Aber machen wir uns nichts vor, auch bei einem stationären Wohnen braucht es die Kontakte nach außen.

Das führt zum zweiten Problem: Ich habe fast das Gefühl, dass die Existenz von jüngeren körperbehinderten Menschen, bei denen die Erkrankung nicht das Zentrum ihres Lebens ist, sondern die sich ein Leben wünschen, das so normal wie möglich ist, nicht wahrgenommen wird. Wie lässt es sich sonst erklären, dass es so wenig spezielle Einrichtungen gibt? In Baden- Württemberg gibt es etwa 500 Pflegeeinrichtungen, nur bei etwa 50 von ihnen werden körperbehinderte Menschen als Zielgruppe angegeben. Schaut man sich dann einzelne Einrichtungen näher an, stellt man fest, dass viele von ihnen die speziellen Abteilungen nicht mehr betreiben (weil angeblich kein Bedarf da ist) oder eben lange Wartezeiten in Kauf genommen werden müssen.

Hier wünsche ich mir mehr Engagement der Gesellschaften, die entsprechend Erkrankte vertreten (Multiple Sklerose-Erkrankte, Querschnittsgelähmte, Schlaganfallbetroffene, et cetera). Denkbar wäre auch die Unterstützung bei der Gründung einer Wohngemeinschaft (Stichworte: große, entsprechend rollstuhlgerechte Wohnung, Kosten teilen für gemeinsame Betreuungskräfte).

Interessant wäre es auch einmal zu erheben, wie viele dieser Menschen notgedrungen in ganz normalen Pflegeheimen leben und im Grunde genommen tief unglücklich sind. Ich hatte versucht, an solche Daten zu kommen, bin aber am Hinweis auf den Datenschutz gescheitert. Damit kann ich eigentlich nur alle Menschen in diesen Heimen oder deren Angehörigen auffordern, sich zu rühren und zu melden (beispielsweise bei der Redaktion).

Ich bin der Meinung, dass man mittel- bis langfristig das Wohnen in Deutschland wieder anders organisieren muss. Heute separieren wir die verschiedenen Bevölkerungsgruppen; es gibt Wohnungen für Familien, für Studenten, für Singles, für Arme, für Reiche, für Alte, für Behinderte usw. Das größte Lebensziel ist ein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung. Die Menschen schotten sich zunehmend von ihren Nachbarn ab, man braucht sich ja nicht mehr (Geschäfte haben bis Mitternacht oder die ganze Nacht offen). Hinzu kommt, dass die sozialen Strukturen (Familie, Nachbarschaft) mehr und mehr wegbrechen. Dafür muss Ersatz geschaffen werden. Da heute die Unterstützung durch professionelle Organisationen (Sozialstationen, Nachbarschaftshilfe) geleistet wird, entstehen Kosten, die sich viele schon heute nicht leisten können. Aber schon bald werden es deutlich mehr sein, die sich die Kosten für Betreuung und Pflege nicht mehr leisten können (sowohl der einzelne wie auch die Kommunen und der Staat).

Generationenübergreifendes, inklusives Wohnen der Zukunft

Wir werden wieder mehr aufeinander zugehen und uns gegenseitig unterstützen müssen. Daher schwebt mir ein generationenübergreifendes, inklusives Wohnen der Zukunft vor. An vielen Orten in Deutschland hat man das bereits erkannt und es gibt solche Initiativen. Wir haben in Radolfzell eine solche Initiative gegründet (WiR e.V., www.wohneninradolfzell.de). In Gegenden, die nicht so eine hohe Wohnqualität haben und damit günstigere Wohnungen bereitstellen können, ist ein solches Vorhaben sicher einfacher umzusetzen. Das Problem ist vor allen Dingen, dass wir keine Lobby haben. Auch hier wäre es eben dringend notwendig, die Unterstützung der entsprechenden Verbände im Rücken zu haben. Ich erlebe immer wieder, dass wir als idealistische Spinner abgetan und nicht ernst genommen werden. Nun kommen wir zu einem weiteren Problem: Wer hilft den Betroffenen oder deren Angehörigen, die richtige Wohnform und Hilfe für die jeweilige Situation zu finden? Hier gab es viel Hoffnung auf die eingeführten Pflegestützpunkte. Der Pflegestützpunkt Konstanz zum Beispiel kommt allerdings nicht richtig zum Laufen und eine gute private Einrichtung, die kompetent beraten hat, musste die Arbeit einstellen, mangels Finanzen und fehlender Unterstützung.

Hier wünsche ich mir Beratungsstellen, welche die Betroffenen kompetent durch den Dschungel der Möglichkeiten führen können.

Zeitig Hilfe ins Haus holen

Ich würde gerne noch ein paar Tipps all denjenigen geben, die in einer familiären Umgebung leben. Ich glaube, man sollte sich schon relativ zeitig Hilfe mit ins Haus holen, um die pflegenden Angehörigen zu entlasten. Irgendwie glauben die Familien immer, dass sie es aus eigener Kraft schaffen können. Dabei gehen aber alle Seiten Kompromisse ein und das führt zu immer mehr Belastungen und Missverständnissen. der! Wie schön ist es, noch in einem familiären Umfeld leben zu dürfen! Insbesondere die gesamte Organisation des Lebens rundherum kann von den Familienangehörigen bewältigt werden. Aber von Dingen, die zum Beispiel ein ambulanter Pflegedienst übernehmen könnte, sollte man die Angehörigen entlasten Genießen Sie doch die guten Zeiten miteinander! Wie schön ist es, noch in einem familiären Umfeld leben zu dürfen! Insbesondere die gesamte Organisation des Lebens rundherum kann von den Familienangehörigen bewältigt werden. Aber von Dingen, die zum Beispiel ein ambulanter Pflegedienst übernehmen könnte, sollte man die Angehörigen entlasten.

Literatur zum Thema:

  • „Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen in Baden-Württemberg. Ein Wegweiser", herausgegeben vom Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg
  • „Stationäre Kurzzeitunterbringung für Menschen mit Behinderung in Baden-Württemberg. Ein Wegweiser", herausgegeben vom Landesverband für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung Baden-Württemberg e.V.
  • Zu barrierefreien Wohnungen: Ulrike Jocham: „Universell designte Wohnungen - für alle!", Orientierung 04/2012 S. 24 – 28.
  • Zur generellen Wohnungsmarktsituation: „Alle Zahlen unter Dach und Fach - Wohnungsmarktbeobachtung", herausgegeben von der L-Bank (Staatsbank für Baden-Württemberg)