Nathalie Beßler, Leiterin der Trierer Informationsstelle Multiple Sklerose (TIMS)
Nathalie Beßler, Blickpunkt-Ausgabe 02/2015
Welt MS-Tag 2015. Nathalie Beßler hat zusammen mit ein paar Mitgliedern der TIMS einen Infostand auf dem Trierer Kornmarkt aufgebaut. Bescheid wissen über MS! TIMS – die Trierer Initiative Multiple Sklerose nutzt den 27. Mai, um über die Krankheit aufzuklären, und das heißt für TIMS konkret, falsche Mythen zu entlarven und mit der Angstmacherei aufzuräumen. Nathalie Beßler zeigt dabei Gesicht: Auf ihrem T-Shirt steht „Ich habe MS!“, sie kleidet sich modisch und zwischendurch raucht sie auch mal eine Zigarette. Sie ist selbst betroffen – und sie ist jung, selbstbewusst und mutig. „Ich bin guter Dinge!“ ist ihre Botschaft. Damit überzeugt sie die Neugierigen am Infostand.
Nathalie Beßler hat ihre Erkrankung zum Beruf gemacht. Sie hat in den letzten Jahren die Vorgängereinrichtung TAG und die TIMS aufgebaut; für die nächsten Jahre ist sie mit einer halben Stelle dort beschäftigt. Die 33-Jährige, die in Kassel und Fulda aufgewachsen ist und an der Trierer Universität Politikwissenschaften, Soziologie und Anglistik erfolgreich abgeschlossen hat, ist der Stadt an der Mosel treu geblieben. Sie arbeitet Vollzeit: Mit einer weiteren halben Stelle engagiert sie sich in der Zentralen Studienberatung der Uni, klärt über Studienwechsel auf, organisiert Veranstaltungen und geht an Schulen, um künftige Absolventen über Studiengänge zu informieren.
In der Neurologie des Trierer Brüderkrankenhauses wurde 2010 ihre MS diagnostiziert, nach den McDonald-Kriterien eine klassische Form der Erkrankung. Sie hat anschließend ein Jahr lang Interferon gespritzt, zunehmend unglücklich über die Nebenwirkungen wie hartnäckiger Schnupfen und häufiges Fieber. Als sie sich auch emotional im Laufe der Zeit immer schlechter fühlte, hat sie das Mittel gegen den ärztlichen Rat abgesetzt und nimmt seither keine MS-Medikamente mehr ein. Die Prognosen der Neurologen, sie würde in zwei Jahren im Rollstuhl sitzen, sind nicht eingetreten. „Ich habe nicht mehr eine so naive Einstellung wie anfangs zu Medikamenten. Und ich bin davon überzeugt, dass es essentiell ist, dass mein Ich und mein Körper ein gutes Team sind“, sagt sie heute. An die Kraft des positiven Denkens glaubt sie immer noch, und auch daran, dass ihr Vorbilder helfen. Insgesamt geht es ihr gut; sie weiß die vergleichsweise hohe Lebensqualität sehr zu schätzen.
TAG: Trierer Aktionsgruppe für Neudiagnostizierte und junge Erwachsene mit Multipler Sklerose
Bei ihrer Suche nach einer guten Anlaufstelle nach Ausbruch der Erkrankung ist sie bei der Gesellschaft für Psychologische und Soziale Dienste (GPSD) in Trier mit einem Psychologen ins Gespräch gekommen – und dieser hat ihr prompt einen Job angeboten! Und zwar mit dem Ziel, eine Anlaufstelle für junge Erwachsene mit MS zu gründen, die auf deren spezielle Bedürfnisse zugeschnitten sein sollte. Mit Feuereifer hat sie sich in die Arbeit gestürzt, hat recherchiert, rechtliche Voraussetzungen geprüft, Themen entwickelt und unzählige Gespräche geführt, und tatsächlich: Der Antrag beim Deutschen Hilfswerk wurde nach einem halben Jahr intensiver Verhandlungen bewilligt! Die „Trierer Aktionsgruppe für Neudiagnostizierte und junge Erwachsene mit Multipler Sklerose” (TAG) war geboren. Eine Finanzierung für drei Jahre unter der Trägerschaft der GPSD und damit auch ihre halbe Stelle waren gesichert. „Dass eine Betroffene selbst als Antragstellerin auftritt, war ein Novum beim Deutschen Hilfswerk“, erklärt sie stolz – ein großer Erfolg!
Vorträge zur Erkrankung und zu sozialrechtlichen Themen mit renommierten Experten, einmal wöchentlich Austausch im neu gegründeten Neurocafé, Krafttraining, Tanzworkshops und eine Klettergruppe: Innerhalb kürzester Zeit hat Nathalie Beßler ein vielfältiges Aktionsprogramm auf die Beine gestellt, das sie regelmäßig über einen Betroffenen-Verteiler publiziert hat. Ein besonders erfolgreiches Angebot existiert bis heute, das wöchentliche Krafttraining. Doch es hat sich auch herausgestellt im Laufe der Arbeit, dass es gar nicht so leicht ist, gerade die jungen Betroffenen anzusprechen: „Die verkriechen sich oft“, weiß Nathalie Beßler.
Empowerment-Ansatz: Die Trierer Informationsstelle Multiple Sklerose
Aus dieser prägenden Erfahrung resultierte das weitere Vorgehen, als die Finanzierung von TAG nach drei Jahren auslief. TIMS, die „Trierer Informationsstelle Multiple Sklerose“, baut zwar auf TAG auf, setzt aber andere inhaltliche Schwerpunkte. Von der „Aktion Mensch“ bis ins Jahr 2017 finanziert und im selben Büro wie vorher, wird Nathalie Beßler nun von Christiane Jung unterstützt, einer Diplom-Psychologin, die in Teilzeit beschäftigt ist. Zusammen vertreten die beiden den „Empowerment-Ansatz“: Betroffene sollen befähigt werden, informierte Entscheidungen zu treffen und ihr Leben mit der Krankheit selbst in die Hand zu nehmen. Hierzu sollen sie mit entsprechenden Strategien ausgestattet werden.
In der täglichen Arbeit wird vor allem die psychologische Unterstützung angefragt. In Trier wartet man momentan etwa acht Monate auf einen Therapeutenplatz; sehr lange, um mit dem Schock der Diagnose umgehen zu können. Hinzu kommen durch Medikamente ausgelöste Depressionen ebenso wie Probleme mit dem immensen Stress – die von TIMS angebotene kostenlose Hilfe kann hier viel Leid und Unsicherheit abfangen, sowohl bei Betroffenen als auch bei Angehörigen. In diesem Rahmen wurden anfangs zusammen mit der ebenfalls von MS betroffenen Ärztin Dr. Jutta Scheiderbauer „Psycho-Edukations-Kurse“ auch zum Thema Stressmanagement angeboten, die sich über zehn Wochen erstreckten. Beim zweiten Mal allerdings wurde der Kurs abgebrochen: „Das war für die Betroffenen neben Beruf und Familie einfach zu anstrengend“, berichtet Nathalie Beßler. Bewährt hat sich hier, das Thema nur noch in kurzen Workshops anzubieten.
Problembereiche Information und Diagnoseübermittlung
Im Beratungsalltag der TIMS – für die übrigens Malu Dreyer, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin, die Schirmherrschaft übernommen hat – werden vor allem zwei Problembereiche immer wieder deutlich, die sie deshalb zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählt: wie groß der Mangel an wirklich fundierter und zugleich verständlicher Information zur Krankheit ist und wie schwierig sich die Diagnoseübermittlung durch den Arzt für die Betroffenen gestaltet. Welche MS-Medikamente gibt es überhaupt? Was sind McDonald-Kriterien? Dass Nathalie Beßler hier hochinformiert und zugleich, bedingt durch ihre eigene Betroffenheit, mit viel Empathie helfen kann, hat sich bundesweit herumgesprochen. So wird sie beispielsweise beim Klinikum Hamburg-Eppendorf eingebunden, wenn eine gut geschulte Expertenmeinung für Abschlussarbeiten benötigt wird. Zusammen mit Dr. Jutta Scheiderbauer ist sie in eine Public-Health-Studie der Universität Bremen eingebunden, die sich mit Arzt-Patient-Kommunikation und Diagnoseübermittlung befasst. Neuerdings beschäftigt sie sich außerdem mit den „MS-Schwestern“ und hat, auch mit Jutta Scheiderbauer, für deren Bundesverband einen Artikel in deren Zeitschrift veröffentlicht.
Powerfrau mit viel Gelassenheit
Empowerment: Nathalie Beßler verkörpert die Idee dieses Ansatzes selbst wie keine zweite. Vormittags übernimmt sie Verantwortung für andere Betroffene, nachmittags an der Uni für die Belange der Studierenden. Sie ist ein Teamplayer – und ihr Handeln dreht sich immer um den Menschen. „Eigentlich war die Erkrankung im Nachhinein eine Chance, noch einmal von vorne zu starten. Eine brutale Vollbremsung, natürlich, aber sie warf existentielle Fragen auf: Wo soll meine Lebensreise hingehen? Was ist wirklich bedeutsam?“ Ganz wichtig ist ihr, immer die Ruhe zu bewahren, egal, ob es ums Engagement für die Sache geht oder um ihre eigenen Ängste, was die Krankheit betrifft. Sie weiß, dass die mentale Einstellung den Verlauf der Krankheit beeinflusst – und sie möchte ihr auch auf dieser Ebene Einhalt gebieten. Sie achtet auf ihren Energiehaushalt, lässt das Joggen nun sein, weil es ihr nicht guttut, und tanzt dafür lieber einmal eine Nacht durch. „Am nächsten Tag bin ich zwar echt kaputt, aber sind dass Frauen ohne MS nach durchtanzten Nächten nicht auch?“
Hinsichtlich ihrer Zukunft ist die 33-Jährige zuversichtlich. Auf die Frage, was wohl in zehn Jahren sein wird, mag sie keine Antwort geben. Es interessiert sie einfach nicht; sie plant in vier-Wochen-Zeiträumen und braucht keine Sicherheit. „Ich bin guter Dinge“, beschließt sie unser Gespräch – klar, gelassen, authentisch.