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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Ab in die Sonne: Erholung pur auf Teneriffa

Petra Orben, Blickpunkt-Ausgabe 01/2019

Ja, richtig gelesen, ich war in der Sonne. Auf der Insel Teneriffa. Und zwar in den ersten zwei Januarwochen dieses Jahres. Raus aus dem usseligen Deutschland, rein in den sonnigen Süden. Herrlich!

Vorgeplänkel

Das ganze Jahr 2018 ist ja nicht so doll für mich gewesen. Hat jeder anhand meiner Artikel bestimmt mitbekommen. Ich war schon in der Jahresmitte völlig urlaubsreif, da konnte mich auch kein Seminaraufenthalt mehr „retten“. Obwohl die, die ich im letzten Jahr besucht habe, alle prima waren. Aber dennoch konnten sie natürlich keinen Erholungsurlaub ersetzen. Es musste einfach mal was anderes sein. Eine längere Zeit am Stück irgendwo, ohne nix, ohne Verpflichtung, ohne Heckmeck, am besten in der Sonne und ohne anstrengende und demotivierende Bürokratie. Einfach die Seele baumeln lassen, mich wieder am Leben erfreuen und meine „Weltuntergangsstimmung“ (die ja doch so manches Mal einen relativ großen Raum in meinem Gemüt einnimmt) mal komplett austricksen. Was für ein guter Plan, der mir da in den Sinn kam! Nur wohin? Von welchem Geld? Und ganz wichtig, mit wem?

Gedacht und schon regelte sich alles

Die Frage „mit wem“ konnte ich ziemlich schnell klären. Mein sehr guter Freund war sofort Feuer und Flamme, sollte es zu irgendeiner Form von Urlaubsfahrt kommen. Okay, das war ja schon mal leicht. Die Frage nach dem Reiseziel gestaltete sich dann plötzlich auch ganz easy, fiel mir doch die Anzeige vom „Mar y Sol“ auf Teneriffa in die Hände. Deren Inserat ist ja immer mal wieder in einschlägigen Zeitschriften zu finden. So übrigens auch in unserem Blickpunkt. Außerdem weiß ich von Menschen, die dort häufiger hinfahren oder sogar den ganzen Winter dort verbringen. Toll, auch die zweite Frage geklärt. Blieb dann nur noch die Sache mit der Finanzierung. Durch mein frühes Verrentetsein fiel ich leider nicht in einen Geldtopf. Genau das Gegenteil war eher der Fall, bin ich doch in die Sozialhilfe gepurzelt. Aber auch dafür gab es plötzlich eine Lösung. Ich konnte eine finanzielle Zuwendung bekommen.

Großes Unbehagen

Seit gefühlt 100 Jahren (oder besser gesagt, seit meiner ständigen Rollstuhlpflicht) war ich nicht mehr so richtig verreist. Ich meine, in einem Hotel mit allem Drum und Dran. Also, eine Pauschalreise, keine Städtetour und kein Seminarbesuch. Was Seminarreisen betrifft, fühle ich mich fast wie ein Profi. Da weiß ich in der Regel, was unbedingt mit ins Gepäck muss, was wichtig ist und was auf jeden Fall zu Hause bleiben kann. Aber ein längerer Aufenthalt in sonnigen Gefilden? Keine Ahnung mehr, was man da alles mitnehmen muss. Mal abgesehen davon, dass ich sonst immer mit dem Auto unterwegs war und nicht mit dem Flugzeug, es also nie eine Beschränkung bezüglich des Reisegepäcks gab. Und jetzt durften es nur 20 kg sein, zuzüglich 9 kg Sperrgepäck, wozu alle meine Pants, ein Ersatzsitzkissen und anderer behinderungswichtiger Schnickschnack zählte. Das mit den zusätzlichen Kilos war schon mal gut, weil diesen ganzen Kram hätte ich nie und nimmer in meinem Koffer verstauen können.

Zusätzlich zu der ganzen Gepäckangelegenheit stellten sich mir aber noch ganz andere wichtige Fragen: Traute ich es mir überhaupt noch zu, mit meinem mittlerweile „schwachen“ Körper irgendwo entspannt im Urlaub zu sein? Kann ich so viel Sonne überhaupt noch ab? Wie käme ich vor Ort zurecht? Klar, ich hatte meinen Freund als Begleitung mit dabei. Aber dennoch… Und wie sollte das mit dem Toilettengang während des Fluges funktionieren? Könnte ich währenddessen überhaupt aufs Klo? Oder müsste ich mir eine doppelt und dreifach gefütterte Pants anziehen und hoffen, dass nichts danebengeht?

Total gestresst im Vorfeld

Schieben wir diese Fragen erst einmal zur Seite und kümmern uns um anderes. Was zieht man bei sommerlichen Temperaturen an? Wie warm ist es dort? Sollte ich auf meinen bewährten Zwiebellook zurückgreifen oder reicht ein dünnes Jäckchen? Bikini oder Badeanzug? Shit, ich besitze überhaupt keinen Bikini mehr. Vor Jahren schon habe ich alle meine zweiteiligen Badeutensilien entsorgt, war mir doch klar, dass ich diese nie wieder brauchen werde. Mit Bikinihose und Pants irgendwo in der Sonne liegen, schloss ich für mich einfach aus. Also landete mein Badeanzug auf dem Stapel der mitzunehmenden Sachen.

Du meine Güte, ich habe gar nicht gewusst, dass Kofferpacken so stressig sein kann. Oder war das früher auch schon so? Keine Ahnung. In jungen Jahren war ich sehr häufig unterwegs. Meist in irgendeinem sonnigen Land. Den Rucksack geschnappt, meine „Standardreisedinge“ eingepackt und los ging’s. Jetzt ging hier gar nichts los! Ich machte mir x-viele Gedanken und war nicht so sehr im positiven Reisefieber. Gepackt habe ich dann auf den sprichwörtlich letzten Drücker. Mit Bauchgrummeln, schlechter Laune und einer Bekannten. Diese ganze Aktion hatte dann mehrere Stunden in Anspruch genommen. Na toll, mein langersehnter Erholungsurlaub fing ja schon gut an! Und meine Besorgnis, ob ich am Urlaubsort überhaupt gut zurechtkommen würde, schwebte ja auch noch im Raum umher. Und die Toilettensache während des Fluges war auch noch nicht geklärt.

Urlaub, ich komme

Dann ging es tatsächlich los. Wir fuhren zum Düsseldorfer Flughafen, orderten den vorbestellten Behindertenservice, bestiegen den Flieger und alle Sorgen waren vergessen. Nein, Quatsch, vergessen war nichts, aber es hatte sich dann doch noch Vorfreude auf die bevorstehende Reise eingefunden. Mithilfe einer überdimensionalen Pants konnte ich auch das Klo-Problem lösen. Alles ist gutgegangen. Die fünf Stunden Flug empfand ich als anstrengend aber machbar, und der Transfer vom Flughafen ins Hotel war gut organisiert. Und dann waren wir da.

Das schöne Mar y Sol

„An der Südwestspitze der Kanarischen Insel Teneriffa (der Spanier spricht und schreibt Tenerife) gelegen, befindet sich das rollstuhlgerechte Kurhotel Mar y Sol mit seinem angeschlossenen Zentrum für Prävention und Rehabilitation TeraLava, der Mar y Sol Aquasport und der Servicestation LeRo.

Sämtliche im spanischen Stil, in zweieinhalb geschossiger Bauweise erstellten Gebäude verfügen über einen eigenen Lift. Die sonstigen wenigen Stufen sind über Rampen zu umgehen.
Etwa 400 m von der ca. 8 km langen Meerespromenade entfernt wurde die Hotelanlage auf einer leichten Anhöhe in Atriumbauweise um eine außergewöhnliche Poollandschaft erstellt.“ (www.marysol.org)

Aus Bequemlichkeit habe ich diese Infos von deren Homepage übernommen. Die Zimmer sind (mit kleineren Abstrichen) ziemlich behindertenpraktisch. Ebenso die Bäder. Sollte ich dort noch einmal hinfahren wollen (und das habe ich vor!), müsste ich das mit meiner Unterkunft im Vorfeld allerdings noch besser einstielen. Aber jetzt weiß ich ja, wie der Hase läuft und was wichtig für mich ist.

Die Schlacht am kalten Buffet

Das Essen war reichhaltig, vielseitig, lecker und immer ansprechend angerichtet. Da war für jeden etwas dabei. Ich als Vegetarierin hätte mir bei den bereits angemachten Salaten allerdings gewünscht, es hätten kleine Beschreibungen drangestanden. So manches Mal konnte ich nicht erkennen, ob sich in einem Salat irgendwelche Fleischstückchen versteckten. Meine zur Hilfe genommene Lesebrille konnte mir meist leider auch keine Klarheit verschaffen. Da habe ich dann lieber von einigen Platten nix genommen. Sicher ist sicher. Aber ansonsten war alles prima. Es schwirrten Kellner umher, die Getränke brachten (abends waren diese kostenpflichtig) oder einem (auf Anfrage) ab und an zur Hand gingen. Den einen oder anderen Euro konnte ich guten Gewissens abgeben.

Manchmal gab es ein ziemliches Gedränge am Buffet. Da wurde auch nicht immer die Reihenfolge eingehalten. In der Regel stellt man sich ja in einer Schlange hinten an. Nun gut. Durch die vielen, sehr unterschiedlichen elektrischen Gefährte musste man sehr aufpassen, dass es keine Zusammenstöße gab. Also, immer die Augen aufmerksam in sämtliche Richtungen offen halten. Da kurvten Menschen in Elektrorollstühlen jeglicher Couleur, in Scootern oder in Rollstühlen mit vorne angebrachten Zugmaschinen umher. Diese Dinger können ganz schön schnell sein. Leute in Aktivrollstühlen wie ich waren eher in der Minderheit.

In unserer zweiten Woche wurde es durchaus voller im Essraum und interessanterweise hatten viele Gäste „plötzlich“ immer denselben Tisch. Das war mir ein totales Rätsel, hätte ich doch auch gern wieder am selben Platz gesessen wie am Vortag. Aber genau dann, wenn mein Freund und ich kamen, war unser Lieblingstisch besetzt. Da scherte es niemanden, dass wir gestern dort noch gesessen hatten. Tja, keine Ahnung, wie die große Masse der anderen Gäste das mit der „Sitzordnung“ eingefädelt hat.

Durch die Abende getanzt

Meine Begleitung und ich haben früher einige Jahre in einem Verein Rollstuhltanzen gemacht. Und weil im Hotel oftmals als Abendgestaltung ein musikalisches Event angeboten wurde, bot sich uns die schöne Gelegenheit, wieder mal das Tanzbein zu schwingen. Anfangs mussten wir allerdings (mangels Übung) ein wenig improvisieren, aber im Handumdrehen hatten wir den Dreh wieder raus. Wir glitten begeistert über das Parkett. Es kamen sogar einige Gäste und machten uns Komplimente. Das war schön!

Wie Reha, nur im Bikini

Apropos Bikini. Ich musste mir doch glatt einen Bikini vor Ort auf einem Kleidermarkt kaufen. Täglich den Badeanzug mehrmals an- und ausziehen, das war echt anstrengend. Zumal der obendrein gar nicht so schnell trocken wurde. Und ich musste auch gar nicht mit Pants und Bikinihose in der Sonne liegen wie befürchtet. Scheinbar waren meine Blase und ich so gut erholt und entspannt, dass sich die Überaktivität sehr zurückhielt. Das war ein toller Effekt.
Ich plantschte täglich mehrmals im Pool, der praktischerweise mit einem Lifter bestückt war. Dieser wurde von einem netten und aufmerksamen Bademeister betätigt. Er half einem auch, vom Rollstuhl auf das Ding zu gelangen. Das hieß, meine Begleitung musste nicht unbedingt jedes Mal gezwungenermaßen mit mir ins angenehme warme Nass. Konnte ich auch allein. Schwimmflügel an und im Wasser rumbewegt. Herrlich! Obwohl es natürlich auch immer schön war, mit meinem Freund gemeinsam durchs Wasser zu gleiten.

Aus Deutschland hatte ich mir von meinem Neurologen zwei Rezepte mitgebracht. Eins für „KG ZNS“ und eins für „Wassergymnastik einzel“. Auf der KG-Liege habe ich diverse Übungen gemacht und im Wasser wurden mir Gewichtsmanschetten um die Fußgelenke geklettet. So konnte ich durchs Wasser stiefeln. Die Physiotherapeutin hielt mich an den Händen und ich konnte einige Meter „frei“ laufend zurücklegen. Auch eine tolle, neue Bewegungserfahrung für mich!

Sport in rauen Mengen

Die große Sporthalle beschenkte uns Gäste mit unendlich vielen Möglichkeiten, sich zu bewegen. Regelmäßig Rollstuhlgymnastik, Tischtennis, Sprossenwand, Stehpult. Alles stand immer zur freien Verfügung. Sehr engagierte Sporttrainerinnen und -trainer oder Animateurinnen rundeten das Ganze perfekt ab.

Körperlich in Topform

Unterm Strich kann ich sagen, dass diese recht kurze Zeit auf Teneriffa für mich effektiver war als jede MS-Reha! Mal abgesehen von meinen früheren Aufenthalten in der ehemaligen Evers-Klinik im Sauerland (die viele ja bestimmt noch kennen). Da war es auch immer recht gut. Den sehr positiven Effekt vom Mar y Sol verdanke ich vielleicht der gut verträglichen Sonne oder dem warmen Pool oder dem guten Essen oder dem vielseitigen Bewegungsangebot oder der netten Atmosphäre dort. Vielleicht war es auch hilfreich, dass keine Ärzte rumliefen und ständig Visiten machten, was einen ja immer daran erinnert, dass man eigentlich krank ist. Ich war dort im Urlaubsfeeling, unter anderen Urlaubsgästen, wovon allerdings bestimmt 75 Prozent mit irgendeinem Rollstuhlgefährt unterwegs waren. Rein die Optik ließ eher an eine Rehaeinrichtung denken. Aber das Gefühl war ein komplett anderes. Nix da Krankenhaus! Und das ist ja schon mal weit mehr als die halbe Miete.

Das Mar y Sol ist auf jeden Fall eine Reise wert

Okay, den Flug habe ich als lang und anstrengend empfunden. Stundenlang so eingepfercht zu sitzen, ist schon sehr beschwerlich. Und mit allem Hin und Her ist jeweils ein ganzer Tag futsch. Aber wenn ich mich (bzw. meinen körperlichen Zustand) nun nach meiner Rückkehr betrachte, kann ich nichts anderes sagen, als dass ich die Strapazen gern auf mich genommen habe. Erholung pur, körperlicher Kraftaufbau, Sonne am ganzen Körper, mal komplett abschalten. Was will ich mehr! Ich komme auf jeden Fall wieder! Dann muss ich allerdings vorher doch noch in einen Geldtopf fallen…

Herzlichst Ihre
Petra Orben