Vom wohltuenden Gefühl, mal mitten im Leben zu stehen
Thomas Wefing, Blickpunkt-Ausgabe 02/2020
Überraschende Erkenntnisse beim Besuch eines Volleyballspiels
Eine kleine Vorbemerkung
Vielleicht sind die vorliegenden Zeilen (erstellt im Mai 2020) im jetzigen Blickpunkt-Heft auch schon wieder veraltet und es gibt aktuell neue Aspekte zum Dauerthema „Corona-Virus“. Jedenfalls habe ich mir im Jahr 2019 noch keine Gedanken über Gesichtsmasken gemacht, es gab keine Ausgangsbeschränkungen und Versammlungsverbote. Kitas und Schulen waren selbstverständlich geöffnet. Es war auch kein Problem, mit der Bahn zu fahren oder sich in einer Kneipe oder einem Café zu treffen.
Und nun gibt es nur ausgewählte Sportveranstaltungen ohne Publikum. Also kann ich meine Alemannia-Dauerkarte nicht mehr nutzen, und die „Wurstbraterei“ des Stadions ist auch geschlossen.
Die Therapeutinnen kamen zu mir ohne Maske und wir haben uns auch nicht „zig-mal“ am Tag die Hände gewaschen. Dafür haben wir schon gewettet, wie lange das inzwischen fast täglich ausgestrahlte ARD-Extra zur „Corona-Thematik“ dauern würde. Interessant fand ich auch, über die tatsächlich aufgetretenen Probleme in einigen Staaten informiert zu werden: In Deutschland fehlte es während der Pandemie im Frühling 2020 u. a. an Toilettenpapier, Mehl und Gummibändern. Frankreich hatte einen Mangel an Rotwein und Kondomen, die Niederlande litten unter zu wenig Chips und in Amerika kaufte man überproportional viele Waffen. Unter diesen nationalen Gegebenheiten gefällt mir der beschriebene „Notstand“ der Franzosen noch am besten. (Typisch Männer, oder?) Die Zeit seit dem Frühjahr 2020 kommt mir jetzt vor wie eine gefühlte Ewigkeit. Wann es wohl wieder so sein wird wie im letzten Jahr? Wenn überhaupt. Ich wünsche es mir so.
Mein erstes Volleyballspiel
So, und nun sollte ich wieder den vielen „Bleib gesund“-Ermutigungen folgen und komme zu meinem eigentlichen Thema: Volleyball. Inzwischen haben drei (von nur 11 oder 12?) Volleyball Bundesliga-Mannschaften wegen der Corona-Krise ihre Teilnahme an der Bundesliga (aus finanziellen Gründen?) abgesagt. Wie soll denn nur die neue Saison beginnen? Keine Ahnung! Aber das Folgende ist noch im „gesunden“ Herbst 2019 während der Hinrunde der Volleyball-Bundesliga 2019/20 passiert.
Es war mal wieder einer der Berichte über die hiesige Volleyballmannschaft in der Montagsausgabe unserer Zeitung. Immer wieder wurde über die sportlichen Erfolge dieses Teams geschrieben, dass sich inzwischen im oberen Drittel der 1. Bundesliga etabliert hat. Volleyball kannte ich bisher nur vom Sportunterricht in der Schule und vereinzelt aus dem Fernsehen, wenn von Beachvolleyball während der Olympiade die Rede war. Es ist zumindest ein Mannschaftssport, bei dem man den Spielball nach maximal drei Berührungen in der Luft auf dem Spielfeldboden der gegnerischen Mannschaft platzieren soll. Und irgendwie packte mich schon eine gewisse Neugier, mir so ein Volleyballspiel mal anzusehen. Nun, es hätte genauso gut Basketball, Handball oder Eishockey sein können, aber hier gibt nun mal nur Volleyball.
Sehr gute Voraussetzungen
Das Heimspiel war in einer Halle, nun Arena genannt, im Nachbarort. Und die Bundesliga signalisierte und garantierte (?) mir zumindest ein gewisses Spielniveau. Am Telefon habe ich einer Mitarbeiterin des Vereins mein Interesse an einem Volleyballspiel kundgetan und war von der informativen Antwort positiv überrascht: „Rollstuhlparkplätze sind direkt an der Arena vorhanden und werden stets von unserem Security-Service überwacht. Sie müssen nur Ihren Behindertenparkausweis vorzeigen und werden dann durchgelassen. Eine lange Rampe führt Sie nach unten zum barrierefreien (Spieler)eingang. Dort zeigt Ihnen eine weitere Mitarbeiterin den richtigen Weg. Als Eintrittspreis reicht uns für Sie und Ihre Begleitung die lautstarke ‚Anfeuerung unserer Mannschaft‘, sonst nichts.“
Wenn das keine Motivation zum Besuch für ein solches Spiel ist, dann weiß ich es auch nicht, zumal das finanzielle Risiko ja durchaus überschaubar war. Schnell war daheim jemand gefunden, der bereit war, mich zum „Abenteuer“ Volleyballspiel zu begleiten. Und es lief genauso ab, wie es mir am Telefon zuvor beschrieben wurde.
Näher dran geht wirklich nicht
Vor Ort wurden wir schließlich durch die „Katakomben“ der Arena geführt und kamen durch einen Seiteneingang zum Spielfeld. Da das Spielfeld für die Volleyballer nicht sehr groß ist, waren die Zuschauerplätze an allen vier Seiten des Spielfeldes angeordnet. Das hat, wie ich finde, einen positiven Einfluss auf die Atmosphäre in der Arena. Und nun stand ich neben den anderen Rollstuhlfahrern in einer Ecke des Spielfeldes, quasi neben den Auswechselspielern. Näher dran geht wirklich nicht. Nach dem „Warmmachen“ der Spieler wurden zuerst die Mädchen und Jungen mit Applaus begrüßt, die während des Spiels für eine schweißfreie Spielfläche sorgen. Danach wurden die Schieds- und Linienrichter sowie die gegnerischen Spieler klatschend in Empfang genommen. Eine solch freundliche Zeremonie kenne ich von meinen bisher erlebten Fußballspielen nicht. Dort fallen meist nicht ganz so freundliche Begriffe.
Aber so richtig laut, also ich meine so richtig, r i c h t i g laut wurde es, als die Spieler der Heimmannschaft einzeln aufgerufen wurden und vorbei an den Fans und durch ein Spalier der „Putzmädchen und -jungs“ einliefen. Sinnvollerweise trugen die jüngeren Fans währenddessen einen Ohrenschutz. Jeder stand auf und klatschte Beifall und jubelte, unterstützt von den trommelnden Fans am Rand des Spielfelds. (Leider ist die Stimmung in der Halle in diesem Bericht kaum vermittelbar.)
Eine Win-win-Situation
Das Spiel konnte beginnen und wir mussten stets darauf Acht geben, von keinem querfliegenden Ball getroffen zu werden. Ich konnte immer wieder darüber staunen, wie beweglich die Sportler zusammenspielten, insbesondere dann, wenn der Ball den Bereich des Spielfeldes verließ und sich den Zuschauertribünen näherte. Im Eifer des Gefechts passiert das schon mal. So nach und nach habe ich auch die Regeln mit den beiden technischen Auszeiten einigermaßen verstanden. Die Mannschaft gewinnt das Spiel, die drei Sätze für sich entscheidet. Zum Gewinn eines Satzes sind 25 Punkte nötig. Für einen eventuell notwendigen und entscheidenden 5. Satz (Tie-Break) reichen 15 Punkte. Nach jedem Satz werden die Seiten gewechselt. In den Pausen werden immer wieder mal einzelne, zum Spiel eingeladene Jugendmannschaften aus umliegenden Vereinen vorgestellt. So wurde auch mal das Handballteam meiner Tochter begrüßt, was die jungen Spielerinnen irgendwie schon beeindruckte. Eine typische Win-win-Situation.
Völlig neu für mich war jedoch das Abklatschen der (Reserve-)Spieler mit den Rollstuhlfahrern. Das passierte immer dann, wenn die Spieler zu den Auszeiten an uns vorbeiliefen. In diesem Moment wurden wir Rollstuhlfahrer sogar von den Spielern registriert und es wurde ansatzweise der Eindruck vermittelt, ein Teil der Mannschaft zu sein. Wir, die hier von allen Seiten von Zuschauern umgeben waren und fast im Spielfeld standen. Das gab das gute Gefühl, quasi mitten im Leben zu stehen. Super und danke dafür!
Zu den Satzbällen (oder zum Matchball) für die Heimmannschaft standen die Zuschauer wieder auf, klatschten und feuerten die Heimmannschaft an. Es war ein bisschen so, als ob man den Satzgewinn (oder Sieg) herbeischreien könnte. Zumindest für die Heimmannschaft. Bei einem der letzten Heimspiele wurden plötzlich aus einem für mich nicht ersichtlichen Grund Mannschaftstrikots für die Zuschauer verteilt. Natürlich auf freiwilliger Spendenbasis. Schließlich trugen fast alle Zuschauer die Trikots der heimischen Mannschaft. Ein imposantes Bild.
Nach dem Ende des Spiels hatte ich mich auf das übliche Verkehrschaos eingestellt. Aber das ist einfach ausgefallen. Es gab keine Staus und keine genervten Autofahrer*innen. Vielmehr konnten wir uns nach der kurzen Rückfahrt über die gewonnene Zeit freuen, um mit einem „Siegerbier“ auf das gewonnene Spiel anzustoßen. (Bei einer Niederlage machen wir das übrigens umgekehrt mit einem „Frustbier“, also auch eine Win-win-Situation.)
Nie zu früh aufgeben!
Interessanterweise wurde ich letztens bei uns im Ort darauf angesprochen, dass man mich beim letzten Heimspiel der Volleyballer gesehen hatte. Auch ein Zeichen dafür, wie viel Aufmerksamkeit der Volleyballsport hier hat. Einmal traf ich in der Halle sogar eine meiner Pflegerinnen. Sie verließ das Spiel jedoch vorzeitig in einer Pause beim 0:2 Rückstand. Aber die Heimmannschaft kämpfte weiter. Nach dem 3. Satz stand es 1:2 und kurze Zeit später 2:2. Jetzt bebte die Halle. Es ging in den Tie-Break. Als es den ersten Matchball für die Heimmannschaft gab, kochten die Emotionen. Was soll ich sagen – die Heimmannschaft gewann doch noch mit 3:2, geschafft! Den Sieg hat sie leider verpasst. Und da ist sie wieder: die Erkenntnis, dass man nie zu früh aufgeben darf. Das habe ich wirklich schon so oft erlebt.
Viele liebe Grüße und starke Nerven!
Thomas Wefing