Von wegen „stilles Örtchen“: Barrierefreie Toiletten im öffentlichen Raum
Sandra Oswald, Blickpunkt-Ausgabe 01/2020
Manchmal hat man gerne Leute um sich herum. Oft ist es aber auch ganz normal, nicht alleine zu sein – im Supermarkt oder im Restaurant zum Beispiel. Ein Stadionbesuch wäre langweilig ohne die vielen anderen Fans und mitunter euphorisch jubelnden Zuschauer*innen. Keine Zuschauer*innen möchte man hingegen auf der Toilette, darum wird es auch das stille Örtchen genannt.
Der Euroschlüssel
Seit 1986 verkauft der Club „Behinderte und ihre Freunde“ (CBF) aus Darmstadt den sog. „Euroschlüssel“.
Dabei handelt es sich um einen Schlüssel für einen Schließzylinder, der in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern eigens für barrierefreie Toiletten im öffentlichen Raum benutzt wird.
Erkennbar ist dieses Einheitsschloss an seiner waagrechten Einführungsöffnung, in die der Schlüssel wie bei einem „normalen“ Schloss gesteckt wird. Mittlerweile gibt es europaweit mehr als 12 000 Toiletten, die Behinderte, die Inhaber des Euroschlüssels sind, kostenlos nutzen können.
Wo findet man diese Toiletten?
Hierbei handelt es sich meist um Toiletten an Raststätten an der Autobahn, Bahnhöfen und in der Stadt. Aber auch im Zoo und im Museum findet man oft eine derartige verschlossene Toilette.
Das System ist mittlerweile so verbreitet, dass auch große Supermärkte und Kaufhäuser ihren Kund*innen diesen Service anbieten. Des Weiteren findet man sie in städtischen Einrichtungen, in Ämtern, dem Rathaus, Bibliotheken und in Sporthallen. Auch alle Sehenswürdigkeiten, die dem UNESCO-Weltkulturerbe angehören, sind mit dem Einheitsschloss versehen.
Viele von ihnen entsprechen der DIN-Norm, die vorgibt, wie eine rollstuhlgerechte Toilette auszusehen hat. Es gibt Haltegriffe und sie bieten mehr Platz. Platz, der zum Rangieren mit einem Rollator oder Rollstuhl gebraucht wird.
Wer kann diese Toiletten nutzen?
Ein Irrtum ist allerdings, dass nur Rollstuhlfahrer*innen diesen Service nutzen können.
Alle Menschen mit einem Schwerbehindertenausweis und einem GdB von mindestens 90 Prozent oder 70 Prozent und dem Merkzeichen G oder Inhaber*innen des Merkzeichens aG, B, H oder Bl, aber auch Stomaträger*innen, Menschen mit chronischen Blasen- und Darmerkrankungen (zum Beispiel Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa) sind Nutznießende.
Auch Menschen ohne Schwerbehindertenausweis können u. U. nach Einsendung eines ärztlichen Attestes den Schlüssel erhalten.
Als Anmerkung in eigener Sache möchte ich diese Tatsache hier noch einmal besonders hervorheben. Viele MS-Patient*innen leiden darunter, dass ihre Einschränkungen und Probleme für den Außenstehenden nicht wahrgenommen werden und so ihr Leiden gerne mal bagatellisiert wird.
Die barrierefreien Toiletten sind zwar mit einem Rollstuhl gekennzeichnet, können aber wie bereits oben erwähnt auch von Menschen in Anspruch genommen werden, deren Einschränkung nicht auf den ersten oder zweiten Blick ersichtlich ist.
In diesem Fall wünsche ich mir im gesellschaftlichen Umgang mehr Verständnis und Toleranz seinen Mitmenschen gegenüber. Mittlerweile sitze ich im Rollstuhl, wurde früher aber regelmäßig angepflaumt, wenn ich die barrierefreie Toilette benutzt habe, wozu ich aufgrund des Merkzeichens aG und meiner Blasenprobleme schon früh berechtigt war.
Kein Verständnis bringe ich hingegen für diejenigen auf, die gesund sind, aber die Behindertentoilette für ihr „Geschäft“ benutzen, weil sie dort allein und ungestört sind.
Es kam nicht nur einmal vor, dass ein Kollege aus der Toilette kam, mich davor warten sah, einen hochroten Kopf bekam und sich mit einem genuschelten „Hallo, wie geht’s“ an mir vorbeidrückte, ich die Augen verdrehte und erst einmal das Fenster öffnen musste.
Unerwünschter Publikumsverkehr
So weit, so gut – und alles in allem eine prima Sache. Mein Leben würde sich ohne den Luxus von erreichbaren und meist auch um einiges saubereren Toiletten schwieriger und unangenehmer gestalten. Offen bleibt allerdings die Frage, wieso es nicht möglich ist, jene Toiletten von innen so zu verschließen, dass sie von außen nicht mehr geöffnet werden können?
Oder wieso man sie nicht zumindest als „besetzt“ markieren kann? Unerwünschter Publikumsverkehr bleibt da nicht aus.
Peinlich ist die Situation für beide, sowohl für die Person, die überrascht, als auch demjenigen, der unfreiwillig Teilnehmer einer Peep-Show wird.
Ich selbst habe mir in solchen Situationen ein dickes Fell zugelegt. Peinlich finde ich es zwar weiterhin, aber genau genommen sieht der andere eine Frau, die auf dem Klo sitzt, nicht mehr und nicht weniger. Ich stelle mir dann vor, ich wäre König Ludwig der XIV. – für ihn war es normal, inmitten seines Hofstaates zu „thronen“. Besondere Ehre kam dem Adligen zuteil, der den Nachttopf leeren durfte und jeder Stuhlgang wurde von einem Arzt protokolliert. Man weiß, dass Ludwig der XIV. jahrzehntelang unter Durchfällen und Verdauungsstörungen litt, mehr als 10-mal am Tag abführte, und das nicht immer auf einer Toilette. Und wenn sich der König da nicht schämt, warum ich?
Also schäme ich mich auch nicht mehr, ziehe aber dennoch vor, allein das „stille Örtchen“ zu benutzen, schließe seitdem von innen ab und lasse den Schlüssel stecken.
Und wenn es doch mal wieder passiert: Shit happens!
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