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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Keine Zeit zur Regeneration: Schlafstörungen bei Multipler Sklerose

Heike Führ, Blickpunkt-Ausgabe 02/2025

Eine gelegentliche Schlaflosigkeit ist jeder und jedem sicher bekannt. Schlafstörungen in mehr oder weniger starken Ausprägungen dagegen dauern an und beeinträchtigen nicht nur die Lebensqualität, die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden spürbar – die fehlende Regeneration im Schlaf schadet langfristig auch der Gesundheit. Zwischen 25 und 55 % der MS-Betroffenen leiden unter Schlafstörungen – Studien deuten auch darauf hin, dass MS-betroffene Frauen deutlich häufiger betroffen sind als Gesunde.

Neurologische Schlafstörungen

Neurologische Schlafstörungen sind Schlafstörungen, die sich etwa in Form einer erhöhten Tagesschläfrigkeit („Hypersomnie“), aber auch in Form von Ein- und Durchschlafstörungen („Insomnie“) äußern können. Hinzu kommen Beschwerden im Sinne von unwillkürlichen Beinbewegungen im Schlaf oder Missempfindungen („unruhige Beine“), dem sogenannten Restless-Legs-Syndrom (RLS). Schlafstörungen treten bei bis zu 90 % aller neurodegenerativen Erkrankungen auf. Die Insomnie ist eine der häufigsten assoziierten Schlafstörungen.

Chronische Insomnie

Mit dem Fachbegriff bezeichnet die Medizin allgemein die Tatsache, dass Betroffene regelmäßig über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten mindestens dreimal pro Woche (langanhaltend oder in Abständen wiederkehrend)

  • nicht einschlafen,
  • nicht durchschlafen und/oder
  • sehr früh aufwachen und danach nicht wieder einschlafen können.

Dies betrifft deutlich mehr Frauen als Männer.

Obstruktive Schlafapnoe

Bis zu 60 % der MS-Betroffenen zeigen sogenannte schlafbezogene Atmungsstörungen (SBAS) – hierbei kommt es zu von den Betroffenen unbemerkten vorübergehenden Atemaussetzern durch eine Verengung des Rachens, die länger als zehn Sekunden andauern können. Diese äußern sich z. B. durch lautes Schnarchen. In der Folge wird die Sauerstoffversorgung beeinträchtigt. Eine ausgeprägte Tagesmüdigkeit oder eine Fatigue ist die Folge.

Schlafstörungen und MS können sich bedingen

Mehr als die Hälfte der MS-Betroffenen berichtet im Laufe der Erkrankung von zunehmenden Schlafproblemen, die gehäuft auch im Vorfeld einer MS-Diagnose auftreten können. Dazu zählen u. a. Schlaflosigkeit sowie Ein- und Durchschlafstörungen. Die Störungen können durch die MS bzw. durch ihre zahlreichen Symptome entstehen oder davon abhängig sein.

Die Gründe für einen nicht erholsamen Schlaf sind dabei so vielfältig wie die Erkrankung selbst. Dazu gehören etwa Spasmen, Schmerzen, häufiger Harndrang und dem ständigen Gefühl von innerer Unruhe bzw. dem in den Abend- und Nachtstunden ausgeprägten RLS, das die Schlafqualität und -dauer erheblich beeinträchtigt. Hierbei verspüren Betroffene ein unangenehmes Ziehen oder Kribbeln in den Beinen, als ob Ameisen über sie laufen. Die Ursachen für das RLS sind noch nicht abschließend geklärt (etwa durch Schäden am Rückenmark oder als Nebenwirkungen von Medikamenten), MS-Betroffene leiden aber mit bis zu 19 % viermal häufiger darunter als der Bevölkerungsdurchschnitt.

Entzündungen im Körper, die bei MS eine Rolle spielen, können den Schlafzyklus weiter beeinflussen. Ängste oder Depressionen spielen eine Rolle. Auch die Gabe von Medikamenten, etwa im Rahmen von Basistherapie oder der akuten Schubtherapie mit Kortison (und dem dadurch bedingten niedrigeren Melatonin-Spiegel), oder eine geringere Sauerstoffzufuhr durch eine Schlafapnoe können diese Störungen bedingen.

Vor allem Dauer und Qualität des Schlafs sind von Bedeutung für die nötige Regenerierung des Körpers. Tatsächlich ist das Gehirn während der unterschiedlichen Schlafphasen sehr aktiv; in der Tiefschlaf-Phase etwa finden Reparaturen im Zellstoffwechsel statt, die unsere Konzentrationsleistungen, unser Lernen und unser Gedächtnis am Tag sowie unser Immunsystem generell stärken. Wichtige Hormone wie Melatonin sowie Antioxidantien sind am Werk und gewährleisten, dass wir langfristig leistungsfähig bleiben können.
Ist die nächtliche Regeneration beeinträchtigt, können Zellen geschädigt und Entzündungsbotenstoffe ausgeschüttet werden. Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfälle, Krebserkrankungen oder eine Demenz steigt an. Durch Übermüdung, Mattigkeit und Antriebslosigkeit sowie kreisende Gedanken und Sorgen über den fehlenden Schlaf ist die Lebensqualität deutlich beeinträchtigt und können sich Symptome wie die Fatigue oder kognitive Beeinträchtigungen bzw. die MS als solche noch verstärken. In einer kürzlich erschienenen Überblicksarbeit kamen die Forschenden auch zu dem Schluss, dass die (schlechtere) Schlafqualität bei MS-Betroffenen eine viel stärkere Bedeutung im Rahmen der Therapie einnehmen sollte, sodass Symptome, die mit der Schlafqualität in Verbindung stehen, wie Depression oder Angstzustände, vermieden oder besser behandelt werden können. Schlafstörungen, so zeigte eine andere Studie mit über 10.000 MS-Betroffenen, sind nicht nur Begleiterscheinung von MS, sondern auch ein möglicher Risikofaktor (ein sogenanntes Prodromalsymptom); sie konnten bis zu zehn Jahre vor dem Auftreten der eigentlichen MS dokumentiert werden. Die Einbeziehung dieser Symptome in das diagnostische Verfahren könnte also helfen, die Krankheit früher zu erkennen.

Was macht das Nicht-Schlafen-Können mit uns?

Bei mir kamen die Schlafstörungen mit der MS-Diagnose. Am Anfang dachte ich noch, es läge daran, dass ich mir aufgrund dieser Schockdiagnose endlos viele Gedanken und Sorgen machte. Auch Ängste kamen auf – das kennt wohl jede*r MS-Betroffene gut! Kein Wunder, dachte ich also, dass sie mich auch nachts begleiten und wachhalten. Das Interessante war jedoch, dass mir (meine Diagnose war 1994) keine Neurologin und kein Neurologe helfen konnte. Tatsächlich tat man das Problem ab – so, als ob ich es mir einbilden würde. Sobald die Zeit des Internets kam, recherchierte ich und fand im deutschen Netz einfach GAR NICHTS zum Thema „Schlafstörungen und MS“! Erst im amerikanischen Netz wurde ich fündig und fühlte mich endlich bestätigt, dass die MS auch außerhalb von Sorgen und Nöten echte Schlafstörungen hervorrufen kann. Trotz des Wissens und Weitertragens an meine hiesigen Neurologen wurde mir keine Hilfe zuteil, weil es leider absolut kein Thema für sie war.

Im Jahr 2012 begann ich dann mit meinem Blog und thematisierte dieses Problem erstmals öffentlich. Und siehe da: Ich bekam zig Zuschriften von Betroffenen, denen es genauso erging. Das war Balsam auf meiner Seele, auch, weil ich nicht mehr allein mit diesem Problem war. Diese Störungen (Einschlafschwierigkeiten und später dann auch Durchschlafprobleme) betrafen mich sehr stark und machten meine Fatigue noch schlimmer. Ein Kreislauf also: unberechenbar und wirklich der blanke Horror!

Irgendwann bekam ich freundlicherweise vom Hausarzt verschreibungspflichtige Schlaftabletten, da nichts anderes mehr half. Und ja: Ich habe alles ausprobiert und probiere auch heute noch jedes erdenkliche Haus- oder Pflanzenmittel, das neu auf den Markt kommt. Jede, wirklich jede frei verkäufliche neue Schlaftablette probiere ich voller Hoffnung aus und bin jedes Mal wieder tief enttäuscht – denn sie helfen einfach nicht oder haben unangenehme Nebenwirkungen, die meine verschreibungspflichtigen Schlaftabletten nicht haben. Diese helfen mir nach wie vor treu und zuverlässig.

Ich möchte hier keine Lanze für verschreibungspflichtige Schlafmittel brechen, denn ich weiß sehr gut, dass sie „nicht so ohne“ sind und auch abhängig machen können. Manchmal kann ich mir aber einfach nicht anders helfen.

Ich verzichte hier auch auf die allseits bekannten „guten Ratschläge“, dass man eine besondere Schlafhygiene pflegen sollte, nichts vor dem Schlafen essen sollte und so weiter. Diese kennt jede*r Betroffene zur Genüge – man findet sie überall, im Netz ebenso wie in allen möglichen Zeitschriften. Und wirklich: Ich habe sie alle ausprobiert – der Leidensdruck war groß genug. Nichts half mir. Und ich möchte doch nur eins: einmal richtig schlafen. Einschlafen in Ruhe, durchschlafen und morgens erholt aufwachen. Für mich ein unerreichbarer Traum – der dann zum Albtraum wird!

Guter Schlaf sieht bei jedem Menschen anders aus. Und ob wir eine erholsame oder eine schlechte Nacht hatten, kann von unserer persönlichen Wahrnehmung abhängen. Man weiß auch, dass manche Erwachsene mit sechs Stunden Schlaf gut auskommen, andere wiederum benötigen sieben bis acht Stunden. Aber eins ist klar: So, wie wir uns morgens fühlen, ist dieser Zustand ein klares Kriterium: Werden wir morgens fit und erholt wach, kann man davon ausgehen, dass wir gut geschlafen haben. Das wäre für mich persönlich ein seltenes und sehr wertvolles Geschenk. Aber oft fühlen wir uns wie gerädert, müde, erschöpft und sind dann auch oft unkonzentriert.

Diagnose und Therapie

Schlafstörungen sind also ein häufiges und auch dringliches Problem, Diagnostik und Therapie allerdings bisher nur in spezialisierten Zentren verfügbar. Eine Insomnie wird heute durch Gespräche, eine körperliche Untersuchung, etwa dem Anlegen eines Schlaftagebuchs, dem Ausfüllen von Fragebögen oder der Übernachtung in einem Schlaflabor diagnostiziert. Gewöhnlich wird zur Behandlung als erstes eine kognitive Verhaltenstherapie empfohlen, bevor Medikamente angeboten werden. Dies ist insbesondere der Fall, wenn keine unmittelbaren körperlichen Ursachen auszumachen sind. Teil der Verhaltenstherapie können auch die Meditation, andere Entspannungsverfahren, Techniken wie die Schlafrestriktion (bei der Schlafenszeiten und -dauer festgelegt und teilweise verkürzt werden, sodass längeres Wachsein die Müdigkeit weiter erhöht) oder der Einsatz von medizinischen Schlafapps (etwa Somnio) sein. Handelt es sich um eine obstruktive Schlafapnoe, wird das Tragen einer Atemmaske empfohlen (die sogenannte CPAP-Therapie). Das RLS wird gesondert behandelt, etwa durch Dopamin-Antagonisten.

Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie einen gesunden Schlaf haben – weder zu wenig noch zu viel – und dadurch mit mehr Energie durch den Tag kommen. Eines bleibt uns: Wir sind nicht allein mit den Schlafproblemen und das ist irgendwie tröstlich.

Alles Liebe

Heike Führ

Quellen