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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Spiritualität und ihr Einfluss auf die Gesundheit

Beate Eichmeier, Blickpunkt-Ausgabe 02/2025

Spiritualität (lat. spiritus, Geist, Hauch, Seele; lat. spiro, „ich atme“) bezeichnet die Hinwendung zu und die Erfahrung einer rational nicht erklärbaren transzendenten Wirklichkeit, die der materiellen Welt zugrunde liegt. Da sie auf persönlichen Erfahrungen basiert, gibt es viele unterschiedliche Definitionen und Erklärungsversuche, denen jedoch einige Aspekte gemein sind: der Glaube an einen oder die Suche nach einem Sinn und die Verbindung zu etwas Größerem. Auch das Streben nach Liebe, Harmonie, Frieden, Weisheit und Mitgefühl mit sich selbst und anderen sowie der Prozess der persönlichen Weiterentwicklung und der Entwicklung eines höheren Bewusstseins wird oft der Spiritualität zugeschrieben. Sie kann sich in der Ausübung unterschiedlichster Praktiken wie Meditation, Yoga etc. zeigen, sie kann in Verbindung mit Religion oder religiösen Praktiken gelebt werden (etwa der Suche und Integration des Heiligen und/oder ethisch Wertvollen in das eigene Leben), ist aber grundsätzlich unabhängig davon.

Was ist Spiritualität?

Für mich lässt sich in dieser Aufzählung noch das Streben nach Vertrauen ergänzen, das Vertrauen in sich selbst, in andere und in das Universum. Auch wenn es herausfordernd sein kann, so manchen Situationen des Lebens mit Vertrauen zu begegnen, findet man doch häufiger und auch schneller als erwartet wieder dorthin zurück. Ist man erst einmal dort angelangt, können sich viele Probleme oft von ganz allein erledigen. Man fühlt sich angebunden an eine größere Kraft, die einen nährt und schützt.
Ich bin spirituell, das ist mir spätestens seit letztem Jahr klar, doch ich habe mich nie so richtig getraut, mich damit zu zeigen. Denn Spiritualität hat heutzutage in einer Welt, wo es meist um das „Höher, Schneller, Weiter“ geht, oftmals einen esoterischen Touch und wird von vielen belächelt. Vielleicht auch, weil sie das genaue Gegenteil darstellt: Hier geht es um Stille, um das Ankommen in sich selbst, um Bewusstwerdung und Präsenz im Moment.

Spiritualität früher und heute

Spiritualität zu leben bedeutet, sich mit Fragestellungen wie z. B. „Wer bin ich eigentlich wirklich?“ oder „Woher komme ich und wohin gehe ich?“ zu befassen. Damit verbunden ist oft auch eine Auseinandersetzung mit den Themen Leben und Tod bzw. einer Sinnsuche. Die Spiritualität ist damit so alt wie die Menschheit selbst (auch wenn der Begriff an sich erst im 19. und 20. Jh. für den französischen Katholizismus dokumentiert ist und sich auf das geistige Leben bezog bzw. im angelsächsischen Raum eine eher freigeistige Haltung gegenüber religiösen Fragen bezeichnete) und hat über die Jahrtausende viele verschiedene Ausdrucksformen (vom Schamanismus bis hin zu verschiedensten mystischen Praktiken) entwickelt. Heutzutage gibt es den Begriff der modernen Spiritualität, welcher vor allem Dinge wie Persönlichkeitsentwicklung, Meditation etc. miteinschließt. Besonders in den USA ist Spiritualität mittlerweile so auch zu einem Milliardengeschäft geworden, da ihre Praktiken oftmals auch eine gute Fluchtmöglichkeit aus der eigenen teils unschönen Realität bieten. Dabei ist Spiritualität aber das genaue Gegenteil von Flucht – es geht vielmehr um Präsenz, um das Wahrnehmen des Moments, der Stille, des Vogelgezwitschers, des Gefühls der Sonnenstrahlen auf der eigenen Haut – und das lässt sich mit Geld nicht erkaufen.

Um sich mit der eigenen spirituellen Seite und einer höheren Macht oder dem Universum zu verbinden und zu vertiefen, helfen spirituelle Praktiken, also bestimmte wiederkehrende Aktivitäten oder Übungen. Dazu zählen neben Gebet, Gesang, Fasten oder Pilgern u. a. auch Yoga, Meditation, Morgen- oder Abendrituale, die Anwendung von Heilsteinen, Manifestation, das Feiern spiritueller Ereignisse wie der Raunächte, der Glaube an Engel etc.

Gesundheitliche Vorteile

Es gibt valide Studien, die den positiven Einfluss von spirituellen oder religiösen Praktiken auf unsere Gesundheit bestätigen. So zeigte eine Studie, dass die Sterblichkeit bei Frauen, welche ein- oder mehrmals pro Woche einen Gottesdienst besuchten oder an einer Gesprächsrunde in ihrer Kirchengemeinde teilnahmen, um ein Drittel geringer ist als bei Frauen, die noch nie an derartigen Veranstaltungen teilgenommen hatten. Die Effekte beim Zusammenhang zwischen Spiritualität und Suizid sowie Spiritualität und Depression waren vergleichbar.

Spiritualität, so konnte gezeigt werden, fördert die innere Balance, indem Stress reduziert wird. Meditation beruhigt den Geist, auch der Körper findet in einen Entspannungszustand zurück. Dadurch werden Stresshormone reduziert, was unmittelbaren Einfluss auf körperliche Beschwerden wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und auch chronische Erkrankungen wie MS hat. Darüber hinaus wirken sich spirituelle Praktiken wie Yoga und auch Meditation positiv auf unsere mentale Gesundheit aus und können dazu beitragen, Angststörungen und Depressionen zu reduzieren.

Positive Grundhaltung und besserer Umgang mit Herausforderungen

Glaubt man an einen höheren Sinn in allem, kann das zu einem besseren Umgang mit Krankheiten wie der MS beitragen. Dadurch können Menschen, die frisch mit einer solchen Diagnose zu kämpfen haben, zu mehr Stabilität und Vertrauen in sich finden und lernen, ihre Diagnose besser anzunehmen. Die spirituelle Selbsttransformation kann es u. a. ermöglichen, sich mit vergangenen ggf. traumatischen Ereignissen oder Glaubensmustern auseinanderzusetzen und diese loszulassen, ohne daran zu zerbrechen. Auch die körperliche Gesundheit profitiert von spirituellen Praktiken wie Yoga, indem z. B. die Flexibilität sowie das Lungenvolumen durch die Yoga-Atmung gestärkt werden. Spiritualität kann darüber hinaus die Empathie und das Mitgefühl mit anderen und auch sich selbst fördern und dadurch zu besseren Beziehungen sowie mehr Selbstliebe beitragen, was sich wiederum positiv auswirkt.

Studien zeigen auch, dass spirituelle Menschen eine größere innere Ruhe, mehr soziale Verbundenheit und ein erhöhtes Bewusstsein für das eigene Leben verspüren. Gerade in Bezug auf persönliche Herausforderungen kann das eine wertvolle Unterstützung sein, um diese besser zu bewältigen.

Ein ebenso wichtiger Aspekt ist, dass spirituelle Menschen aufgrund ihrer positiven Grundhaltung oft weniger Ängste und mehr Zuversicht entwickeln. Dies kann bei der Prävention von Erkrankungen wie Burnout oder Depressionen hilfreich sein.
Das Thema Spiritualität findet in der Medizin heute eher im palliativen Bereich (etwa beim Konzept der spiritual care im Rahmen der Hospizbetreuung) bzw. verstärkt auch der Resilienzforschung bei (gesundheitlichen) Krisen Beachtung. So gaben laut einer Studie aus dem Jahr 2014 54 % der befragten MS-Betroffenen in Deutschland an, weder religiös noch spirituell zu sein. 29 % dagegen gab ihr Glaube in schweren Zeiten Halt und es gelang ihnen dadurch besser, in ihrer Krankheit neben all dem Schmerz auch Wachstum und durchaus positive Perspektiven zu entwickeln.

Mein eigener spiritueller Weg

Als ich begann, mich diesem Thema zu öffnen, hatte ich bereits mehrere Stationen auf meinem Weg zu mehr Gesundheit absolviert. Ich war in ganzheitlicher Behandlung bei einem auf MS spezialisierten Arzt und beschäftigte mich als Ernährungsberaterin intensiv mit einer MS-gerechten Ernährungsweise. Dadurch konnte ich erste große Verbesserungen meiner Lebensqualität erzielen. Doch einige dauerhafte Symptome wie Blasenschwäche, Verdauungsbeschwerden, Sensibilitätsstörungen oder tränende Augen blieben – ich konnte sie erst nach und nach auf dem Weg meiner spirituellen Selbsttransformation, einer intensiven Auseinandersetzung mit meinen Glaubenssätzen, Handlungsmustern und Traumata, in Heilung bringen. Auch wenn sie sich teilweise nach wie vor in Situationen großer Belastung immer mal wieder kurz zeigen, das ist in Ordnung. Der Glaube und das Vertrauen in etwas Größeres brachten mich auch dazu, meine Symptome auf psychosomatischer Ebene zu hinterfragen. Je mehr ich mich damit beschäftige, desto erstaunter muss ich feststellen, dass die emotional-seelischen Themen dahinter mir oftmals alles andere als unbekannt sind oder waren. Je bewusster ich werde, desto mehr verstärkt das auch den Glauben an einen höheren Sinn und eine Verbundenheit in und mit allem. In den Worten von Deepak Chopra, einem amerikanisch-indischen Mediziner und Autor von Büchern über Spiritualität, Ayurveda und alternative Heilmethoden: „Die wahre Spiritualität verändert nichts; sie verändert das Bewusstsein, durch das du die Welt siehst.“

Quellen und weitere Informationen

  • amsel 21.1.2021. Spiritualität, abrufbar im Internet unter www.amsel.de/multiple-sklerose/behandeln/komplementaere-ergaenzende-verfahren/komplementaere-verfahren/spiritualitaet/.
  • Büssing, A. 2011. Spiritualität/Religiosität als Ressource im Umgang mit chronischer Krankheit, in: Büssing, A. et al. (Hrsg.), Spiritualität interdisziplinär – Wissenschaftliche Grundlagen im Zusammenhang mit Gesundheit und Krankheit. Berlin: Springer.
  • Büssing, A./Surzykiewicz, J. 2014. Spirituelle Bedürfnis chronisch Kranker, abrufbar im Internet unter www.imabe.org/fileadmin/imago_hominis/pdf/IH021_017-023.pdf.
  • Dahlke, R. 1992. Krankheiten als Sprache der Seele. Be-Deutung und Chance der Krankheitsbilder. München: Goldmann.
  • Deppner, M. 2019. Seele und Gesundheit, Band 1 Diagnosen, abrufbar im Internet unter www.seele-und-gesundheit.de.
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  • Hay, L. L. 2013. Gesundheit für Körper & Seele. Berlin: Ullstein Allegria.
  • Koenig, H. G. et al. 2023. Handbook of Religion and Health. Oxford: Oxford University Press.
  • Krause, C. 2015. Mit dem Glauben Berge versetzen? – Psychologische Erkenntnisse zur Spiritualität. Berlin: Springer.
  • Li, S. et al. 2016. Association of religious service attendance with mortality among women, abrufbar im Internet unter www.doi.org/10.1001/jamainternmed.2016.1615.
  • Martel, J. 2023. Mein Körper – Barometer der Seele. Kandern: Narayana Verlag.
  • Richter, C. 2021. An den Grenzen des Messbaren: Die Kraft von Religion und Spiritualität in Lebenskrisen. Stuttgart: Kohlhammer.