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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Wechseljahre und MS: Erfahrungen und Strategien

Heike Führ, Blickpunkt-Ausgabe 01/2024

Die Wechseljahre stellen eine Zeit großer Veränderungen für Frauen dar und können aufgrund die dem Phänomen zugrundeliegende hormonelle Umstellung verschiedene physische und psychische Begleiterscheinungen mit sich bringen. Bei Frauen mit Multipler Sklerose können sich diese jedoch mit denen der MS überschneiden und somit Diagnose und Behandlung erschweren.

Veränderung und Herausforderung zugleich

Klar ist: Ob Menopause, Klimakterium oder die sogenannten „Wechseljahre“ – jede Frau durchlebt diese Jahre der Hormonumstellung, die eine früher, die andere später. Ein langsamerer Stoffwechsel, ein unregelmäßigerer Zyklus und schließlich das Ausbleiben der Regelblutung: Kann diese Zeit schon für gesunde Frauen aufgrund zahlreicher unangenehmer Begleiterscheinungen zu einer größeren Herausforderung werden, ist es vermutlich nicht verwunderlich, dass sie bei MS-Patientinnen, welche vermehrt bereits unter Begleiterkrankungen und körperlichen Einschränkungen leiden, noch häufiger zu Problemen führt.
Man schätzt, dass sich jede dritte von MS betroffene Frau aktuell in den Wechseljahren befindet. Die Symptome, die sie durchleben kann, können sowohl der hormonellen Umstellung, ihrem höheren Lebensalter und/oder den Schädigungen des Nervensystems geschuldet sein. Dazu gehören Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen, Störungen der Blasenfunktion, aber auch kognitive Veränderungen. Tatsächlich können sich die Wechseljahre so vielseitig äußern wie die MS auch, die Symptome oder deren Intensität können sich aber dadurch leider auch summieren.

Mögliche Symptome

Hitzewallungen und Schweißausbrüche

Bis zu 85 % der Frauen in den Wechseljahren berichtet von Hitzewallungen (also Hitzewellen, die sich in unterschiedlichen Abständen und mit unterschiedlicher Dauer über Gesicht, Hals und Oberkörper ausbreiten können und von Schwitzen und Frösteln begleitet werden), 55 % bereits schon vor dem Beginn der Menstruationsstörungen. Wir wissen ja, dass es bei MS schnell einmal zum Uhthoff-Phänomen (also dem Abfall der Leistungsfähigkeit und/oder eine Verschlechterung der MS-Symptomatik durch eine erhöhte Körpertemperatur oder Hitze) kommen kann. Dieser Zusammenhang verdeutlicht schon ganz anschaulich, dass betroffene Frauen noch sensibler auf bestimmte Symptome der Wechseljahre reagieren können.

Schlafstörungen, Müdigkeit und Fatigue

Eine abnehmende Östrogenaktivität in den Wechseljahren verkürzt die Tiefschlafphase auf vier Stunden: Schlafstörungen können zu einer starken Müdigkeit und Abgeschlagenheit führen. Aber auch die für MS typische Fatigue kann sich dadurch noch weiter verstärken. Mich hat beispielsweise während der Wechseljahre die Fatigue noch öfter als sonst umgehauen. Ich hatte dann oft das Gefühl, dass sich die Wechseljahresmüdigkeit und die Fatigue in einem regen Schlagabtausch befanden und ich noch erschöpfter war als sonst.

Stimmungsschwankungen und kognitive Einschränkungen

Östrogene haben eine stimmungsaufhellende Wirkung und aktivieren das zentrale Nervensystem. Werden diese im Verlauf der Wechseljahre weniger, kann das seelische Gleichgewicht ins Wanken geraten. Bei der Fatigue kommen ja auch fast immer noch andere Symptome hinzu, wie körperliche und seelische Abgeschlagenheit, schwere Beine und „Gehirn-Nebel“. Tatsächlich sind auch Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen Symptome typischer Wechseljahresbeschwerden. Untersuchungen deuten darauf hin, dass der Östrogenmangel diese Symptome (auch nach der Menopause) sogar beschleunigen kann.

Scheidentrockenheit, Schmerzen und Blasenschwäche

Durch den Östrogenmangel wird die Schleimhautdicke von Scheide, Harnröhre und Blase nicht mehr so hoch aufgebaut. Schmerzen beim Sex, Juckreiz oder Brennen oder bakterielle Infektionen können die Folge sein. Gerade diese Bereiche können aber auch schon durch eine MS stark betroffen sein.

Gelenk- und Muskelbeschwerden, Osteoporose

Die Reduzierung des Östrogens bewirkt eine verminderte Durchblutung der Muskeln und Gelenke sowie eine Abnahme der Kollagenproduktion. Das Hormon Östrogen ist auch entscheidend am Knochenaufbau beteiligt. Fehlt es, kann es zu Osteoporose kommen. Bei Frauen mit MS ist es zudem möglich, dass sich das Osteoporoserisiko aufgrund von erfolgten oder noch folgenden Kortison-Stoßtherapien zusätzlich erhöht.

Symptome steigern sich

Was ich insgesamt bei mir festgestellt habe und auch als Rückmeldung vieler von MS betroffenen Frauen in den Wechseljahren bekam, ist, dass sich alle bestehenden MS-Symptome durch die Menopause häufiger und auch verschlimmert gezeigt haben. Kein Wunder, denn wer schon wegen der MS schlecht laufen konnte und dann noch die „Wechseljahrs-Abgeschlagenheit“ dazubekam, der konnte dann natürlich nochmals deutlich schlechter laufen. So kann man das auf alle typischen (und individuell bekannten) MS-Symptome übertragen.

Klar wird aber, dass es schwierig ist, dies eindeutig zu differenzieren. Da ich persönlich ja hauptsächlich mit der Fatigue zu kämpfen habe, konnte ich ein kleines bisschen zwischen den Müdigkeitsattacken unterscheiden: „normale Müdigkeit“, die hinzukam, habe ich unter Wechseljahresproblematik verbucht und eine besonders heftige Fatigue habe ich als „Zugabe“ zur normal heftigen Fatigue gesehen: also Fatigue PLUS Wechseljahre!

Begünstigt die Menopause die Krankheitsprogression?

Schon seit Längerem wird der Einfluss hormoneller Schwankungen bei Frauen mit MS beobachtet. So berichten viele Frauen auch lange vor den Wechseljahren schon von zyklischen Änderungen ihrer MS-Symptome: Kurz vor der Periode verschlechtern sich Symptome wie Schmerzen, Fatigue, Schwäche in Beinen und Armen sowie Blasenschwäche. Sobald die Blutungen begonnen haben, verbessern sie sich jedoch wieder.

Ob die Wechseljahre zu vermehrten Schüben oder zu einem schnelleren Fortschreiten des Behinderungsgrades führen können, wird kontrovers diskutiert, jüngere Studien leiten aber einen Zusammenhang ab. Demnach könnte die Menopause speziell eine Atrophie der kortikalen grauen Substanz begünstigen, was die Forschenden auf den Rückgang neuroprotektiver Effekte von Östrogen zurückführen. Komplexe Veränderungen sowohl der immunologischen als auch neurologischen Funktion sind die Folge. So zeigt sich im Verlauf der Wechseljahre gehäuft ein sekundär progredienter Verlauf der MS. Schübe werden in dieser Zeit seltener, jedoch erfolgt eine langsame Zunahme körperlicher Einschränkungen. In jedem Fall verstärken diese parallellaufenden Prozesse („Overlap“) auch andere MS-Symptome.

Was kann frau tun?

Eine Verschlechterung der Symptomatik ist für jede MS-Betroffene ein Alarmsignal: Ist es ein Schub oder nicht? Deshalb sollten Frauen, die so eine Verschlechterung in der prämenstruellen Phase (oder in den Wechseljahren) beobachten, auf jeden Fall mit den sie behandelnden Ärzt*innen Rücksprache halten. Die Herausforderung besteht immer darin, den Ursprung der jeweiligen Symptome eindeutig zuzuordnen, um Abhilfe zu schaffen und so die Lebensqualität zu verbessern.

Um die Beschwerden abzumildern, gibt es einige Möglichkeiten. Wichtig ist – wie immer auch für die Bewältigung einer chronischen Erkrankung – die Lebenseinstellung! Die Wechseljahre sind keine Krankheit, sie sind eine Phase der hormonellen Umstellung, die leicht verlaufen, aber auch mit größeren Einschränkungen verbunden sein kann. Sich jeden Tag zu freuen, dass man wenig spürt und die Dankbarkeit darauf zu lenken, hilft mehr, als sich jeden Tag die Symptome immer wieder zu vergegenwärtigen.

Eine Hormonersatztherapie (HET) wird aufgrund möglicher onkologischer und kardiologischer Risiken kontrovers diskutiert – eine ausführliche ärztliche Beratung kann zeigen, ob diese Risiken bei Ihnen persönlich bestehen oder nicht.
Studien zeigen auch eine signifikante Besserung der Symptome unter einer kognitiven Verhaltenstherapie – d. h., sollte es Ihnen psychisch in dieser Zeit nicht gutgehen, scheuen Sie sich nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Auch die Akupunktur scheint das Auftreten von Hitzewallungen deutlich zu reduzieren. Weiterhin helfen ein gesunder Lebensstil, moderate Bewegung und frische Luft, wenn möglich Sport sowie eine ausgewogene Ernährung (Ballaststoffe, Vollkornprodukte, Kohlenhydrate und Zucker reduzieren, viel Gemüse, Obst, Fisch), oder Yoga und Achtsamkeitsübungen (z. B. regelmäßige Meditation, Atemübungen, progressives Muskeltraining).
Ein Beckenbodentraining kann den Blasenproblemen entgegenwirken.

Fazit

Die Wechseljahre sind ein sehr komplexes Thema für Frauen mit MS– und zwar ohne einfache Lösungen. Patientinnen erleben sie unterschiedlich stark ausgeprägt und unterliegen dementsprechend auch einem individuellen Leidensdruck. Jede kann für sich abwägen, wie sie das Beste aus dieser herausfordernden Situation machen kann. Auf jeden Fall ist es ratsam, sich einer Ärztin oder einem Arzt anzuvertrauen, um gemeinsam Strategien für eine Verbesserung zu erarbeiten. Es tut in jedem Fall auch immer gut, sich mit anderen Frauen auszutauschen, denn geteiltes Leid ist bekanntlich halbes Leid.

Meine Wechseljahre gingen relativ harmlos vorüber und ganz ehrlich: Ich war von Anfang an froh, dass es nun „soweit“ ist, und als es vorbei war, fühlte ich mich sehr frei und wohl.

Ich wünsche Ihnen allen eine gute Zeit und wenig Symptome.

Alles Liebe
Heike Führ