
Wie Gedanken und Glaubenssätze unsere Realität und Gesundheit formen
Beate Eichmeier, Blickpunkt-Ausgabe 03/2025
Jeder Mensch hat pro Tag im Durchschnitt ca. 60.000 bis 70.000 Gedanken. Das ist eine ganze Menge. Unser Gehirn ist dauerhaft aktiv, und manchmal denken wir sogar mehrere Gedanken gleichzeitig. Manche wiederholen sich, einige andere laufen völlig unbewusst ab. Unsere Emotionen beeinflussen unsere Gedanken ebenso wie unsere Umgebung, unsere Stimmung und das, was wir gerade tun.
70 % negative Gedanken
Studien zufolge sind 25 % unserer Gedanken neutral und nur 5 % positiv. Das heißt, rund 70 % unserer Gedanken sind negativ. In ihnen spiegeln sich unsere Sorgen und Ängste wider, wie z. B. „Werde ich das schaffen?“ oder „Bin ich gut genug?“. Diese werden dann besonders laut, wenn wir unter Stress stehen. Bei 70.000 Gedanken täglich kommen wir also auf knapp 50.000 negativ gefärbte Gedanken pro Tag. Doch wirken sich negative Gedanken auch negativ auf unsere Gesundheit aus? Davon ist auszugehen, denn wie schon der römische Kaiser Marc Aurel sagte: „Auf die Dauer der Zeit nimmt die Seele die Farbe der Gedanken an.“
Negative Gedanken erzeugen Stress
Gedanken erzeugen in unserem Körper eine biochemische Reaktion, d. h. es werden bestimmte Botenstoffe (Neurotransmitter, Hormone etc.) ausgeschüttet. Ist der Gedanke, den wir gerade denken, positiv, kommt es zur Ausschüttung von Serotonin, Oxytocin oder Endorphinen. Denken wir einen negativen Gedanken, so führt dies zur Ausschüttung von Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol oder Cytokinen.
Letztere Botenstoffe erzeugen Stressreaktionen im Körper und können u. a. zu einem beschleunigten Herzschlag oder steigenden Blutdruck führen. Denken wir also viele negative Gedanken, hat das dieselben Auswirkungen wie Stress oder schlechte Ernährung. Diese führen auf körperlicher Ebene über längere Zeit hinweg zu einer Übersäuerung, welche den Nährboden für viele Erkrankungen bietet.
Negative Glaubenssätze
Viele negative Gedanken beruhen auf negativen Glaubenssätzen über uns selbst. Glaubenssätze sind nichts anderes als sehr oft wiederholte Gedanken. Oft bilden sich diese in der Kindheit, wenn die Eltern oder Bezugspersonen uns etwas Bestimmtes spiegeln. Dies können positive wie negative Rückmeldungen sein. Manchmal werden Glaubenssätze auch von den Eltern an die Kinder weitergegeben. Denkt z. B. die Mutter aufgrund einer Erfahrung in ihrer Kindheit über sich selbst, nicht kreativ oder schlau zu sein, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihren Kindern den Glaubenssatz weitergibt. Dies kann dazu führen, dass Kinder oft ein falsches Selbstbild anhand eines übernommenen Glaubenssatzes der Eltern haben.
Das Verzwickte an Glaubenssätzen ist, dass sie in der Realität Bestätigung erfahren können. Denkt das Kind also, es sei nicht kreativ oder schlau, so wird es darin meist auch Bestätigung im Außen erfahren, unabhängig davon, ob der Glaubenssatz wahr ist oder nicht.
Affirmationen
Zur Umkehrung dieser Glaubenssätze sind Affirmationen heute in aller Munde. Affirmationen zur Stärkung des Selbstwertes, des Selbstvertrauens, zur finanziellen Fülle, Dankbarkeit etc. – die sozialen Medien sind voll davon. So sind z. B. „Ich bin liebenswert“, „Ich bin in Fülle“ oder „Ich bin gut so wie ich bin“ an sich gute Sätze. Hier wird meiner Meinung nach aber oft übersehen, inwieweit man sie selbst auch glauben kann. Die Affirmation „Ich bin liebenswert“ kann noch so oft aufgesagt werden, wenn ein Anteil aufgrund früherer Erfahrungen glaubt, nicht liebenswert zu sein, wird dieser Anteil die Wirkung der Affirmation immer wieder sabotieren.
Doch warum ist das so? Eine Person kann als Kind z. B. wiederholt Ablehnung oder Zurückweisung erfahren haben. Dann kann es sein, dass ein Anteil heute nach wie vor in dieser kindlichen Erfahrung gefangen ist und diese bei diversen (meist unpassenden) Gelegenheiten immer wieder getriggert wird. Wird dieser Anteil gesehen und anerkannt oder an die Person, zu der er gehört, zurückgegeben – dies ist gut mittels Familienaufstellungen möglich –, dann integriert er sich, und der Glaubenssatz „Ich bin nicht liebenswert“ löst sich auf. Erst dann kann die gegenteilige Affirmation vom Körper-System angenommen werden und ihre Wirkung entfalten.
Dabei kann man sich auch unterstützender Glaubenssätze behelfen, welche z. B. vorsichtiger und glaubhafter formuliert werden. Statt „Ich bin liebenswert“ könnte ein unterstützender Glaubenssatz also lauten: „Ich bin es wert, anerkannt und respektiert zu werden“.
Die Gedanken steuern lernen
Gedanken sind steuerbar, und dieses Steuern kann erlernt werden. Hinter zu vielen negativen Gedanken steckt oft ein negatives Selbstbild, ein geringes Selbstbewusstsein oder eine fehlende Präsenz und Achtsamkeit. Denn meist sind wir mit unseren Gedanken in der Zukunft. Studien besagen, dass sich rund 75 % unserer Gedanken mit dem Morgen beschäftigen. Zu 20 % sind wir gedanklich in der Vergangenheit, und nur 5 % unserer Gedanken beschäftigen sich mit dem Jetzt.
Das Phänomen, sich über den Maßen mit der Zukunft zu beschäftigen, nennt sich Sorgen. Wir erschaffen uns mit unseren Gedanken eine Zukunft, die wir gar nicht erleben wollen und in den meisten Fällen auch nicht werden. Wie oft machen wir uns Sorgen, ob die Autofahrt am nächsten Tag problemlos verläuft oder das Gespräch mit dem Chef erfolgreich wird. Dabei kann unser Gehirn gar nicht unterscheiden, ob wir etwas in Gedanken oder in der Realität erleben. Gedanken sind pure Vorstellungskraft – stellen Sie sich dazu einmal vor, Sie beißen in eine Zitrone und schauen Sie, was dabei passiert.
Eine Studie von Ellen Langer aus dem Jahr 1979 zeigte eindrucksvoll, dass unsere Gedanken von unschätzbarem Wert für unsere Gesundheit sind. An der Studie nahmen Männer im Alter von 70 bis 80 Jahren teil. Sie sollten sich vorstellen, es sei das Jahr 1959, und sie wären 20 Jahre jünger. Nach einer Anpassung der Lebensumstände (so wurde etwa die Einrichtung entsprechend dem Jahr 1959 umgestaltet) zeigten sich nach nur einer Woche erstaunliche Ergebnisse: Die Senioren gewannen an Beweglichkeit, die körperlichen Symptome gingen zurück, und selbst das Aussehen verjüngte sich.
Übung
Wenn Sie merken, dass sich das Gedankenkarussell dreht und Sie nicht mehr aus Ihren negativen Gedanken oder Glaubenssätzen herausfinden, können Sie folgende Übung anwenden:
Oftmals kann es bereits helfen, alle Gedanken zu Papier zu bringen. So abwegig Ihre Sorgen auch sind, schreiben Sie alles auf. Wenn Sie sich dabei komisch vorkommen und nicht wissen, was Sie schreiben sollen, beginnen Sie genau mit diesen Sätzen. Schreiben Sie einfach, es muss weder besonders schön sein noch für andere Sinn ergeben. Sie können Ihre Aufschriebe danach auch vernichten.
Sie können diese Übung erweitern, indem Sie sich vier Fragen stellen:
- Ist das, was ich schreibe und denke, wahr?
- Kann ich mit absoluter Sicherheit wissen, dass es wahr ist?
- Was passiert, wenn ich diesen Gedanken glaube?
- Wer wäre ich ohne diesen Gedanken?
Nachdem Sie sich mit den vier Fragen auseinandergesetzt haben, können Sie diese auch umkehren. So kann ein Gedanke lauten: „XY ist lieblos zu mir“. Die Umkehrung kann sein: „XY behandelt mich liebevoll“, „Ich bin lieblos zu XY“ oder „Ich behandle mich selbst lieblos“. Mit den einzelnen Umkehrungen kann dann mit den vier Fragen weitergearbeitet werden. Ziel dieser Methode ist es, die eigenen Glaubenssätze und Gedanken zu hinterfragen und die dahinterliegenden unangenehmen Gefühle anzunehmen, so wie sie sind.
Quellen und weitere Informationen
- Akademie für Neuromentaltraining 2020. Neuroplastizität: Die Macht der Gedanken über das Gehirn, abrufbar im Internet unter www.neuromentaltraining.com/neuro-blog/neuroplastizitaet-denken-gehirn/.
- Byron, K. 2002. Lieben, was ist. Wie vier Fragen Ihr Leben verändern können. München: Goldmann.
- Dahlke, R. 1992. Krankheiten als Sprache der Seele. Be-Deutung und Chance der Krankheitsbilder. München: Goldmann.
- Freudenberg, S. 2015. Die Seele als Coach. Verantwortlich und authentisch leben. München: Trinity.
- Hay, L.L. 2004. Das Leben lieben. Berlin: Allegria.
- Hay, L.L. 2015. Gesundheit für Körper & Seele. Berlin: Allegria.
- Hay, L.L. 2016. Du kannst es! München: Heyne.
- Langer, E.J. 2009. Counterclockwise: Mindful health and the power of possibility. New York: Ballentine.
- Martel, J. 2023. Mein Körper Barometer der Seele. Kirchzarten: VAK.
- Pignitter, M. 2021. Federleicht. Wie du loslässt und ein befreites und erfülltes Leben führst. Wien: Goldegg.
- Tolle, E. 2023. Jetzt! Die Kraft der Gegenwart. Bielefeld: Kamphausen Media GmbH.