Neuroplastizität in der Praxis
Tom Foell, Blickpunkt-Ausgabe 02/2025
Nach meinem Interview mit Prof. Dr. Peter Rieckmann im Jahr 2022 war es in 2024 dann endlich soweit, dass ich die Theorie auch selbst in der Praxis stationär im Medical Park Loipl (MPL) testen konnte. Meine vierwöchigen Reha-Erfahrungen möchte ich hier gerne mit Blick auf die fünf Reha-Komponenten der Neuroplastizität im MPL schildern.
Die fünf Reha-Komponenten der Neuroplastizität
Motivation (Information und Ziel)
„Entscheidend für jede Therapie ist die aktive Mitarbeit des Patienten. Informationen zu Krankheit und Therapieoptionen fördern Motivation und realistische, quantifizierbare Zielsetzung im Verlauf des Aufenthalts bei uns.“
Durch die Recherchen für meine Artikel im BP (3/22, 1/25) hatte ich mich bereits intensiv mit dem MPL und dem Ansatz von Prof. Dr. Rieckmann beschäftigt und war vom Gefühl her herausragend motiviert, allerdings waren meine Erwartungen auch entsprechend hoch. Meine ambulante DIY-Reha nach der Lamprecht-Methode (s. BP 3/22, 4/24) in einer lokalen Physiotherapiepraxis an meinem Wohnort im Jahr 2022 hatte auch noch einmal dazu beigetragen, für mich sehr ehrgeizige Ziele zu formulieren. Kurz: Ich wollte noch mehr Neuroplastizität erreichen. Bessere Ergebnisse. Viel fitter herauskommen als aus meiner ambulanten Reha.
Die Info über die Kündigung von Peter Rieckmann und seinem Abschied just am Tag meiner Ankunft im MPL gab mir dann den ersten Dämpfer. Ich war zwar immer noch hochmotiviert, aber jetzt auch darauf vorbereitet, dass alles Weitere eventuell auch anders kommen könnte als geplant.
Repetition (hochfrequentes Üben)
„Alltagsspezifische Übungen der gestörten Funktionen müssen mit ungeteilter Aufmerksamkeit mindestens 100- bis 150-mal pro Einheit durchgeführt bzw. vorgestellt werden. Sensorisches Feedback (visuell, taktil und akustisch) unterstützt dabei die Bildung neuer Verbindungen zwischen Nervenzellen im Gehirn (Plastizität).“
Menschen mit MS (MmMS) ab EDSS 2 oder 3 haben mit dem hochfrequenten Üben zunehmend Schwierigkeiten und können ab einem bestimmten Grad bestimmte Muskeln nicht mehr selbstständig trainieren. Es gibt aber moderne Hilfsmittel zur Steigerung der Wiederholungen bei den Übungen. Der Einsatz von Geräten wie einem Neubie (s. BP 1/21, 4/21 und 2/22) im Zentrum für klinische Neuroplastizität ist aus meiner Sicht dazu besonders wünschenswert. Ein Modellprojekt am MPL wäre entsprechend sehr sinnvoll. Auch die gedankliche Vorstellung der Wiederholungen etwa am Spiegel wird aktuell im MPL nur für Schlaganfallpatient*innen an den Armen begleitet und trainiert. Hier könnte es eventuell noch ein Modellprojekt für das Training an den Beinen geben.
Training (Fitness und Ausdauer)
„Regelmäßiges, individuell angepasstes, körperliches Ausdauertraining von ca. 5 x 30 Minuten pro Woche fördert nicht nur die Fitness und Mobilität, sondern auch die Neubildung von Nervenzellen im Gehirn.“
5 × 30 Minuten pro Woche Training war in meinen vier Wochen Rehabilitation eher ein Aufwärmprogramm. Ich habe versucht, unter der Woche möglichst viel freie Zeit für Fitness und Ausdauertraining bis an meine Grenzen zu nutzen. Der unbeschränkte Zugang zu den Trainingsgeräten in diesen Zeiten war dabei sehr hilfreich. Dass ich auch das komplette Therapieprogramm offen auf meine individuellen Bedürfnisse mit den Therapeut*innen abstimmen konnte, war eine fantastische Grundlage. Das ist allerdings aber etwas, was auch individuell angefordert und abgefragt werden muss. So habe ich auch andere Patient*innen erlebt, die darauf gewartet haben, dass ihnen alles zufliegt, sie nichts dafür tun müssen und die am Ende auch noch enttäuscht waren, wenn dies nicht passiert ist.
Und hier will ich einfach ein großes Lob an das Therapieteam geben, mit dem ich mich von Anfang an super verstanden habe, und einfach mal Danke sagen. Das Mindset und die Arbeitsweise in der Physiotherapie kamen mir von Anfang an zum größten Teil vertraut vor. Kein Wunder, da Sabine Lamprecht (s. o.) auch schon hier war und das Team mit ihrer Methode trainiert hatte. Meine eigene ambulante Reha hatte ich im Jahr 2022 auch bereits nach ihrer Methode durchgeführt, also fiel es mir entsprechend relativ leicht, mich jetzt wieder einzufinden. Trotzdem brauchte ich fast eine Woche, um zu verstehen, dass ich mich nicht steif an das für mich am zweiten Tag ganz individuell zusammengestellte Programm halten sollte.
An manchen Tagen war mein Programm nur 50 % und an anderen vielleicht 80 % des Umfangs meiner maximalen Auslastung. Und da zusätzlich meine Tagesform nicht jeden Tag gleich war, habe ich jeden Tag individuell entschieden, wie viel Zusatzprogramm ich im freien Training brauche, um meine persönliche Leistungsgrenze zu erreichen. In der Mitte der zweiten Woche sah ich dann einen Patienten, der ein T-Shirt mit den Worten von Peter Rieckmann trug: „Das ist keine Reha, sondern ein Bootcamp“ (= Motivationsgedanke von Peter Rieckmann, zusammen in der Gruppe in kurzer Zeit ein Maximum an Fortschritt beziehungsweise körperlichem Erfolg zu erreichen). Das traf genau meine Idee und ich machte einfach weiter mit meinem individuellen Bootcamp.
In dieser zweiten Woche gab ich dann auch eine Rückmeldung an die Therapieleitung und war sehr erfreut, dass ich die Chance erhielt, das Programm in einigen Elementen noch besser auf mich abzustimmen.
Stimulation (Vorbereitung des Gehirns)
„Musik, singen, tanzen, angenehme Gerüche, bestimmte Medikamente und Nahrungsmittel fördern unspezifisch die Bereitschaft des Gehirns zur Neuroplastizität“.
Auf Musik war ich sehr gut vorbereitet. Ich hatte meinen eigenen Lautsprecher für mein Zimmer und meine Kopfhörer dabei sowie schon vorher eine gute Musikauswahl zusammengestellt. So konnte ich sowohl im Zimmer mit angemessener Lautstärke als auch beim Training immer mit meiner Musik eine Wohlfühlatmosphäre herstellen. Das fand ich dort als auch rückblickend einen sehr entscheidenden Vorteil.
Konsolidierung (Wirkungsnachhaltigkeit)
„Für die Konsolidierung der neu gebildeten Nervenverbindungen und Nachhaltigkeit des Reha-Effekts ist erholsamer Schlaf essenziell. Stress, Schmerzen, Schlafprobleme und Depression verhindern den Reha-Erfolg, müssen daher erfasst und behandelt werden.“
Ich habe leider schon seit längerer Zeit Schlafprobleme und dort auch niemanden gefunden, der mir wirklich dabei helfen konnte. Das ist aber ein zunehmendes Problem in unserer gesamten Gesellschaft, für das es auch bislang nach meinem Wissen keine einfache Lösung gibt. Ich habe an den Wochenenden vor allem die wunderschöne Natur in der Umgebung genossen und einige Ausflüge nach Salzburg, an den Königssee oder einfach nur in die umliegenden Berge gemacht.
Meine Highlights
Therapieteam versus Patienten-Community
Bei meiner ersten Rehabilitation 2018 im Quellenhof war für mich die Patienten-Community im Ranking meiner wichtigsten Komponenten weit vorne an Nummer 1. Ich pflege heute noch freundschaftliche Beziehungen und erinnere mich gerne an eine wunderschöne Zeit mit den vielen tollen Menschen. So etwas ist ein Geschenk und auf keinen Fall eine Garantie. Das wurde mir dann in dieser zweiten Rehabilitation klar. Ich habe zwar auch in meiner Zeit in Loipl tolle Menschen kennengelernt, aber mit der Zeit im Quellenhof war das nicht zu vergleichen. Vielleicht hat es auch mit meiner hohen Erwartungshaltung an den Gesamtaufenthalt zu tun, dass sich für mich die Community mit den anderen (MS-)Patient*innen dieses Mal den ersten Platz mit dem wunderbaren Therapieteam teilen muss.
Servicepersonal
Auch dieses Team fand ich großartig. Aus dem Gespräch mit einer erfahrenen Patientenbetreuerin, die schon lange in der Einrichtung arbeitet, wurde deutlich, wie wichtig die aktive Kommunikation zwischen Patient*innen und Personal ist. Sie meinte, dass Patient*innen mit Eigeninitiative ihrer Erfahrung nach leider die Ausnahme sind – der Großteil wartet vielmehr passiv auf Veränderung, ohne selbst aktiv zu werden. Die Kommunikation bleibt also eine der größten Herausforderungen – ohne klare Rückmeldung während des Aufenthalts kann auch das beste Konzept nicht optimal angepasst werden.
Ein Widerspruch fiel mir auf: Die Klinik hat ausgezeichnete Konzepte zur antientzündlichen Ernährung auf Postern, setzt diese aber im Speiseplan nicht um. Ich hatte zwar einige Anläufe gemacht, aber es nie geschafft, mit dem Küchenchef zu reden. Kurz vor meinem Abschied konnte ich dann aber doch noch mit einer Zuständigen für die Küche ein Gespräch führen. Für sie war alles sehr nachvollziehbar und sie wollte sich für die Optimierungen einsetzen – zu spät für mich, aber ich drücke allen folgenden Patient*innen im MPL die Daumen. Ansonsten bleibt für anspruchsvolle Diäten nur die teilweise Selbstversorgung aus den Supermärkten in der Nähe.
Mein Fazit
Meine Gespräche mit dem Team und meine eigenen Erfahrungen machten mir klar, wie wichtig die Einstellung und Eigeninitiative der Patient*innen für den Therapieerfolg ist. Das Konzept der Neuroplastizität lebt nicht nur von wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern vor allem von der Bereitschaft von uns Betroffenen, aktiv mitzuarbeiten.
Für meinen nächsten Aufenthalt nehme ich mir wieder vor:
- von Anfang an aktiv zu sein und Erwartungen zu formulieren,
- die freien Zeiten wieder bestmöglich für eigenes Training zu nutzen,
- während des Aufenthalts Fragen zu stellen und Feedback zu geben,
- die Reha als Bootcamp zu sehen und meine Grenzen zu testen,
- Eigenverantwortung für den Therapieerfolg zu übernehmen und, last but not least,
- Spaß zu haben!
Der Medical Park Loipl mit seinem Neuroplastizitätskonzept bietet aus meiner Sicht eine gute Chance für MmMS. Ich bin gespannt, wann ich es das nächste Mal dorthin schaffe – selbst mit mehr als 500 km Entfernung. Wie immer freue ich mich auf eure Gedanken.
Quelle
Medical Park Loipl 2025. Hausbroschüre Neurologie, abrufbar im Internet unter www.loipl.medicalpark.de/wp-content/uploads/2025/01/Medical-Park-Loipl_Hausbroschuere_Neurologie_-01-2025_Web.pdf.