Clemastinfumarat im Blick

Blickpunkt 04/2019

MS-typische Symptome wie Sensibilitäts- und Funktionsstörungen sind die Folge von Entzündungsprozessen und Schädigungen an den Myelinscheiden. Zur schnellen Reizweiterleitung umwickeln und isolieren diese normalerweise die Axone mancher Nervenzellen und werden unter anderem von Oligodendrozyten im zentralen Nervensystem (ZNS) gebildet. Werden die Myelinscheiden zerstört, unterbricht dies nach und nach die Reizweiterleitung. Diverse Medikamente beeinflussen diese MS-spezifischen Entzündungsprozesse zwar immunmodulatorisch, haben aber keine regenerativen Fähigkeiten, obwohl die Möglichkeit einer körpereigenen Wiederherstellung der neuronalen Funktion (auch Remyelinisierung) gegeben wäre. Der Wirkstoff Clemastinfumarat hat in einer experimentellen Studie in diesem Bereich ermutigende Ergebnisse erzielt.

Das Medikament

Der Wirkstoff Clemastinfumarat ist in Form von Tabletten (zweimal täglich) und als Injektionslösung (Tavegil®) derzeit bereits als Allergiemedikation zugelassen und entstammt der Klasse der Antihistaminika (also Wirkstoffe, die den Botenstoff Histamin unterdrücken, der im Körper entzündliche Reaktionen auslösen kann). Im Rahmen von Vorgängerstudien hat sich gezeigt, dass sich damit die Myelinproduktion so stimulieren lässt, dass Vorläuferzellen somatischer Zellen (sogenannte OPCs) zu Oligodendrozyten reifen, die dann dünne Ersatzmyelinscheiden bilden.

Die ReBUILD-/ReCOVER-Studien

Die randomisierte doppelblinde Phase 2-Studie ReBUILD untersuchte 50 Patienten mit schubförmig verlaufender MS, die alle unter einer chronischen Optikusneuropathie litten und deren Diagnosestellung nicht länger als 15 Jahre zurücklag. Eine verbesserte Reizweiterleitung vom Sehnerv zum Gehirn war hier das Ziel, das unter einer Hochdosis-Therapie auch erreicht werden konnte. Einschränkend ist allerdings die sedierende Wirkung des Arzneimittels sowie das verstärkte Auftreten von Fatigue zu nennen. Aktuell läuft die Folgestudie ReCOVER, die 90 Patienten mit frisch diagnostizierter Optikusneuritis nach Medikamentengabe auf eine Verbesserung der retinalen Nervenfaserdicke untersucht.

Fazit

Diese Studien sind für weitere Therapiestrategien mit regenerativem Ansatz von erheblicher Bedeutung, da ein Wirkstoff gefunden wurde, der geschädigte Strukturen auch nach langjähriger Krankheit noch reparieren kann. Bis zu welchem Schädigungsgrad Effekte erzielt werden können oder wie etwa Behandlungserfolge im Alltag messbar sein werden, wird in Folgestudien zu klären sein. (Red.)

Quellen

Aktas, O. 2018. Bewirkt das Antihistaminikum Clemastin eine Remyelinisierung?, in InFo Neurologie 20:26, unter www.doi.org/10.1007/s15005-018-2507-z.

Cunniffe, N., Coles A. 2019. Promoting remyelination in multiple sclerosis. Journal of Neurology, unter www.link.springer.com/article/10.1007/s00415-019-09421-x.